Mittwoch, 10. März 2010

These 6: Verlinken und Vernetzen (2) - Aggregierung und Neumischung

Die (Vor-)Auswahl des Wichtigen und Relevanten sagte ich in These 4, sei Jahrhunderte lang die Kernleistung der Verleger gewesen. Ist dies nun endgültig Vergangenheit, seitdem Google und nun Facebook beginnen Mediengeschichte neu zu schreiben? Und was ist die neue Kernleistung des Verlegens im 21. Jahrhundert?

Kehren wir hierzu zurück zur Frage, was war die Kernleistung des Verlegens bis zum Internetzeitalter. Wie gesagt, es war vor allem die Auswahl oder die Erstellung der (wichtigen) Inhalte, die später, unter dem Einfluss des modernen, nach dem subjektiven Nutzwert fragenden Marketing, ergänzt wurde, um die Dimension Relevanz. Die Wertschöpfung des Verlegers war jedoch mit der Inhalte-Erstellung noch nicht abgeschlossen. Die Inhalte mussten auch zum Adressaten gelangen und dies erforderte zusätzlich eine gute technische Herstellung, ausgefeilte Logistikdienste und ein professionelles Vertriebsmarketing. Fassen wir diese nachgelagerten Leistungen sprachlich als „dienende“ Prozesse zusammen. Der Wettbewerb unter den Verlagen bezog sich nun über Jahrhunderte auf diese gesamte Wertschöpfungskette. Wer wirtschaftlich erfolgreich sein wollte, musste auf allen Gebieten eine gute Leistung bieten, musste gute Inhalte liefern und mit guten „dienenden“ Prozessen die Inhalte (zum richtigen Zeitpunkt) in den Markt bringen.
In der digitalen Welt bricht nun diese geschlossene Wertschöpfungskette auf. Die „technologischen“ Treiber digitalisierten zunächst die (traditionelle) Wertschöpfungskette, trennten sie dann aber schnell in seine Einzelteile auf. Dadurch erreichten sie Skaleneffekte wahrhaft globalen Ausmaßes, sowohl auf der Kostenseite (Produktion), als auch auf der Kundenseite (Aufmerksamkeit). Macht man sich diesen Prozess an einigen Beispielen bewusst, ich werde im Rahmen dieses Blogs versuchen, einige lehrreiche Beispiele zu erläutern, dürfte uns der Erfolg von Google, Facebook & Co. nicht länger wundern.

Was bleibt für die Verleger übrig? Braucht man im 21. Jahrhundert überhaupt noch Verleger, wenn doch die Technologietreiber alle „dienenden“ Prozesse übernehmen und jeden Bürger und jeden professionellen Autoren kostenlos mit allen verlegerischen Werkzeugen und Prozessen ausrüsten? Ich beschäftige mich seit 1995 mit dieser Frage und mein Fazit heut ist: ja, mehr denn je. Jedoch nur im Rahmen ihrer (intellektuellen, autorenabhängigen) Inhalte-Kernleistung. Alles andere jedoch, alle den Inhalten „dienenden“ Prozesse, werden künftig die Nicht-Verlage, verlegerische Service-Dienstleister, übernehmen. (Denken Sie bitte an diese Überlegung, wenn Sie mal wieder auf einem Vortrag hören, wie Sie ihr Kerngeschäft durch die Ausweitung von „Neben-Geschäften“ auf Dauer verteidigen und stützen können.)

Überlegen Sie doch kurz: welcher Verlag hat heute noch eine eigene Druckerei, ein eigenes Auslieferungslager, unternehmensspezifische Individualsoftware, hausinterne Spezialisten für CRM usw. Und wie war das 1970, 1990 und heute? Der Aufspaltungsprozess der vormals integrierten verlegerischen Wertschöpfungskette durchzieht mein gesamtes Berufsleben. Mit der Digitalisierung wird dieser Prozess nun dramatisch beschleunigt, so dramatisch schnell, dass selbst die Geschäftsführer von im Medienwandel ganz vorne mitspielenden Verlagen mir „erklären“, dass ein Verlag, der sich nur auf die Inhalt-Seite beschränkt, kein „richtiger“ Verlag mehr sei. Klar ist das richtig, jedoch nur im Sinne des traditionellen Verleger-Bildes. Doch schauen Sie sich einfach mal die Veränderung der Wertschöpfungsprozesse in anderen Branchen an, vor allem bei Ihren Kunden.
Fragen wir nun: Was macht ein Autor, wenn er Inhalte erstellt? Wenn Sie versuchen, diese Frage auf einer abstrakten und verallgemeinerbaren Ebene zu beantworten, kommen Sie vielleicht zu folgender Überlegung: er verbindet, vergleicht, gruppiert „einzelne“ Ideen, Gedanken, Bilder, Fakten in einer neuen oder anderen Art und Weise und versucht darüber hinaus (insbesondere mit Hilfe der professionellen Verleger) diese neue „Einsicht“ oder Information oder wie immer Sie dies nennen wollen, in den Markt zu bringen. Kurz (siehe Schaubild oben): Er verlinkt (Inhalte) und vernetzt (Markt, Personen). Sie erinnern sich jetzt an die Mission-Statements von Google und Facebook (siehe These 5)? Und Sie erkennen, wie ungeheuerlich stark dieser „Prozess“ durch maschinelle Verfahren unterstützt werden kann.
Ich meine jetzt allerdings nicht, dass künftig nur noch die Algorithmen der Ingenieure die „Inhalte“ erstellen – in einigen Bereichen tun sie das ja bereits seit langer Zeit – sondern ich meine, dass die digitalen Prozesse und Verfahren auch und gerade den Autoren, Lektoren, Redakteuren und Journalisten, wie dem privaten Blogger und dem Bürger, ganz neue Hilfsmittel geben, neue und bessere Inhalte zu erzeugen und anderen mitzuteilen. Sie kennen all die feinen Beispiele, wie allein durch die „Aggregierung und Neumischung“ durch digitale Verlinkung von bislang „verlegerisch“ durch Konkurrenzzäune getrennten Inhalten, dramatisch neuer Kundennutzen entstand und etablierte Verlagsprodukte mitsamt den Zielgruppendefinitionen ins Abseits drängte.

Als ersten Rat, so meine Thesen 5 und 6, kann man nur geben: Verlinken Sie selbst aktiv Ihre Inhalte über Produkt- und Verlags-Grenzen hinweg und vernetzen Sie diese mit den Kommunikations- und Transaktions- sowie Geschäfts- oder Freizeit-Prozessen der Kunden. Denken Sie im ersten Schritt an die Informationsprozesse Ihrer Kunden und wie sie diese digital besser unterstützen können und denken sie erst danach über die passenden Geschäftsmodelle nach.

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