Mittwoch, 10. Oktober 2012

Schule 2020 – Das digitale Klassenzimmer der Zukunft. Cyber-Classroom versus Tablet.

Erinnern Sie sich noch an die ersten Verkaufsprognosen der Analysten beim Start des ersten iPhone im Jahr 2007? Man traute dem Smartphone maximal ein Nischendasein im Businesssegment zu. Es kam dann  ganz anders, wie wir heute wissen. Ist es also vermessen, heute von folgender Annahme auszugehen: Heute in acht Jahren besitzt jeder, also wirklich jeder Schüler ein Tablet.

Und können sie sich vorstellen, dass heute, also Oktober 2012,  jeder Lehrer und Schüler intuitiv ein sogenanntes Whiteboard samt der zugehörigen proprietären Lehrmittel-Software bedienen kann? Schwierig. Und können sie sich vorstellen, dass noch im nächsten Jahr, also in 2013, alle unsere Behörden entscheiden, dass alle Klassenzimmer innerhalb von sagen wir mal acht Jahren mit einem Whiteboard ausgerüstet werden und die gute alte Kreidetafel aus dem Klassenzimmer verbannt wird? Noch schwieriger.

Wagen wir einen Zeitsprung von acht Jahren. Ich bin überzeugt, dass auch in 2020 die Mehrzahl aller staatlichen Schulen in diesem Lande mit der guten alten Kreidetafel arbeiten, ein großer Teil der Schüler weiterhin bis zu 10 Schulbücher pro Tag in die Schule schleppen und die Hälfte aller Lehrer weiterhin damit einen guten Unterricht machen werden. Doch was machen die anderen? Die anderen, Schüler oder Lehrer, ganz egal, haben ihr persönliches Tablet auf der Schulbank liegen und schlagen damit online, nicht offline, auf die gleichen Inhalte zu, wie der Banknachbar, der das Print-Buch aufschlägt. Da Print-Titel und Online-Titel identisch sind, können Schüler wie Lehrer, entweder mit Print oder Tablet arbeiten, beliebig gemischt.

Es gibt keinen Zwang, dass alle Schüler oder alle Lehrer mit dem Tablet arbeiten müssen oder alle mit Print arbeiten müssen. Und es gibt keinen Zwang, dass alle Schulen und alle Klassenzimmer gleichzeitig mit digitaler Technik hochgerüstet werden müssen, alle Lehrer von der Kreidetafel zum Whiteboard wechseln müssen. Tablet-Buch und Print-Buch arbeiten harmonisch zusammen, Hand in Hand. Nicht nur Schüler und Lehrer, auch die Schulen können das Tempo des Medienwandels ihrer persönlichen Situation anpassen.

Klar sind aus Sicht der Schüler die Tablet-Schüler eindeutig im Vorteil und werden von den (Papier-)Buch-Schülern beneidet. Es wird also gar nicht lange dauern, bis alle Schüler ihr persönliches Tablet haben. Denn die (Online-)Tablets sind nicht nur cool, sie können auch viel mehr, als die Print-Bücher. Und immer mehr Lehrer helfen den Schülern dieses Mehr für die Entwicklung ihrer individuellen Leistungspotenziale zu erschließen. Und immer mehr private Nachhilfe-Dienstleister werden sich online an die behördlich zugelassenen (digitalen) Bücher mit ihren Erweiterungen andocken.

 Doch ganz besonders cool wird sein, die Bildungspolitiker wird dies freuen, dass die Schulen respektive die Sachaufwandsträger keinerlei zusätzlichen Kosten aufwenden müssen. Ihr Tablet nennen die Schüler in 2020 so selbstverständlich ihr Eigen, wie heute ihre Handys. Und niemand hindert die Schulen, zusätzlich in hight-tech Cyberrooms zu investieren, wenn denn das Geld und die Überzeugung dazu vorhanden sind. Und ebenso cool wird sein, dass auch die Schulbuchverlage signifikant Kosten sparen könnten. Wie andere Fachverlage auch, werden die Schulbuchverlage erkennen, dass ihre Kernleistung in den Inhalts-Marken liegt und nicht in der Online-Technik. Muss den jeder Verlag seine eigene Online-Datenbank aufbauen? Könnten die Verlage nicht sagen, unsere Inhalts-Marken stehen im Wettbewerb, aber bei der Online-Technik, da nützen wir die Skalierungseffekte durch ein gemeinsames Vorgehen.

 Alles es nur Visionen? Wer ist eigentlich dafür verantwortlich, was im Jahr 2020 in den Klassenzimmern unserer Schulen passiert oder nicht passiert, dafür verantwortlich, dass mit Hilfe neuer Technologien ein besserer Unterricht erfolgen kann? Die Lehrer, die Schüler, die Eltern, die Behörden, die Wissenschaft, die Politik, die Schulverlage? Apple, Microsoft, Google? Alle zusammen? Niemand, also der Markt?

 Beispiel Südkorea. Hier fühlen sich die Behörden verantwortlich, dass bereits ab 2015 der Unterricht an allen staatlichen Schulen zu 100% digital erfolgen wird. Auch hierzulande gibt es vielerorts lokale Initiativen, die Klassenzimmer mit digitaler Technik zum Cyberroom hochzurüsten. Ist das gut, fortschrittlich? Lernen unsere Kinder dann automatisch besser? Und wer soll das bezahlen, die Eltern, der Steuerzahler, … ? Und was soll aus den gedruckten Büchern werden? Darf das Kulturgut (gedrucktes) Buch überhaupt aus den Schulen verschwinden? Viele Fragen.

 In Gesprächen haben mir einige Behördenvertreter gesagt, Lehrmittel, also auch digitale Lehrmittel, das sei Aufgabe des Marktes, da sind wir nicht zuständig. Und die Schulbuchverlage sagen mir, wir sind kundenorientiert. Wir verlegen, was die Kunden haben möchten. Nur dann sind wir wirtschaftlich erfolgreich. Wirklich? Wusste 2007 nur Apple, was die Handy-Kunden wollten und alle anderen Handy-Hersteller nicht? Wie sagte schon Henry Ford vor über 100 Jahren. Hätte ich die Kunden gefragt, was sie haben wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde. Wissen die Schüler, die Eltern, die Lehrer, die Schulbürokratie welche Art von Unterrichtskonzepten im nächsten Jahr und in 2020 mit dem Stand der Technik möglich ist? Also nochmal, wer ist verantwortlich für das Klassenzimmer im Jahr 2020?  Wer nimmt das Heft in die Hand und marschiert voraus? Sie?

 Replik. Das digitale Klassenzimmer, der neue Weg aus der Bildungskrise? In den USA gibt es Schulen, die haben unlängst beschlossen, die an alle Schüler kostenlos ausgegebenen Tablets wieder einzusammeln, da der Unterricht dadurch nicht besser geworden ist. Nun, ich halte es hier mit Bill Gates, der sagt, dass die Technik alleine noch kein Garant für eine gute Schule ist. Doch wie wir alle wissen, ist das Festhalten an Print-Schulbüchern auch kein Garant für eine gute Schule.

 Und die Schulkreide-Hersteller? Sie müssen sich auf einen ganz langsamen Rückgang ihrer Verkaufszahlen einstellen. Neue Kreidetafeln werden nur noch ganz selten verkauft, doch die bestehenden Kreidetafeln werden von Schülern wie Lehrern im Jahr 2020 immer noch gerne, teilweise aus einem nostalgischen Gefühl heraus genutzt. Die Whiteboards werden in jenen Schulen, in denen die Lokalpolitik keine Angst vor der „digitalen“ Demenz hatte, zur ganz gewöhnlichen Grundausstattung gehören. Wie sehen Sie das?

2 Kommentare:

  1. Hallo Herr Gegg,
    Sie sprechen mir aus der Seele und treffen die Punkte E-Learning, Ausstattung und Kreidetafel exakt. Ich arbeite inzwischen 10 Jahre mit einem SMART-Board, habe seit nun fast 2 Jahren iPads im Unterricht und so manches mehr - dennoch finde ich nur sehr schwer Kollegen, die sich mit mir über pädagogische Konzepte und Möglichkeiten der modernen Medien einlassen und damit arbeiten. Eine Änderung muss im Kopf passieren, es ist keine Frage von Zeit oder Geld sondern es ist eine Einstellung des Lehrers zu dieser Art von Medien. Unterricht wird dadurch nicht automatisch schlechter - kann aber in vielen Punkten leichter vermittelt werden und auch den Schülern wieder Spaß und Freude vermitteln.
    Gruß Janka

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    1. Hallo Herr Janka,
      Danke für Ihren schönen Kommentar. Sie treffen die Sache auf den Punkt: Änderungen müssen im Kopf passieren. So einfach und doch so schwer. Bleiben Sie dran, lassen Sie nicht locker. Seit 10 Jahren "glücklicher" Besitzer eines Smart-Boards, an meiner Schule, ich spreche als langjähriger, ehemaliger Elternbeiratsvorsitzender, völlig utopisch.
      Besten Gruß, Paul Gegg

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