Samstag, 10. November 2012

Die Zukunft des e-Books heißt online oder vom Glück des Habens

Vom Glück des Habens schreibt die Wirtschaftswoche in der Ausgabe 45/2012. „Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, sind Spiegel unserer Persönlichkeit, Zeugen unserer Biografie.“ Ich meine, dies gilt insbesondere für die Bücher, mit denen wir uns umgeben, die wir lesen, nachschlagen, blättern, verschenken oder einfach nur ins Regal stellen, um sie zu Haben. Ich vermute, Sie haben jetzt nur an Print-Bücher gedacht, vielleicht an besonders schöne und haptisch gelungene Bücher.

Vielleicht haben Sie jedoch auch an die haptisch-sensuelle Oberfläche und das edle Design ihres brandneuen Tablets- oder eReaders gedacht, auf dem sie mittlerweile hunderte von Musikfiles und immerhin bereits dutzende von „schönen“ (digitalen) Büchern oder Magazinen aus einem Webshop, also dem digitalen Buchhändler ihres Vertrauens, auf Ihr edles Gerät heruntergeladen haben, das es zudem automatisch in ein wunderschön gestaltetes virtuelles Bücherregal gelegt hat. Natürlich mit all den Gedanken und Notizen, die sie beim ein- oder mehrmaligem Lesen gehabt haben und flugs, mit einem ebenso schönen Digitalstift, direkt in ihr digitales Buch geschrieben haben. Design matters und wie sehr dies gerade auch für digitale Hör-, Seh- und Leseplattformen und nicht nur für Bücher auf Papier gilt, haben die Verlage von Apple lernen dürfen oder müssen, je nachdem wie sie das sehen (wollen).

Soweit so gut. Dass das Kulturgut Buch sich nicht über das Trägermedium Papier definiert ist, auch wenn wir dies über Jahrhunderte vergessen zu haben scheinen –  Sie erinnern sich, es gab vor dem Trägermedium Papier bereits andere Trägermedien für Inhalte –  ist mittlerweile nicht nur in der Verlagswelt, sondern auch in der politischen Welt angekommen. Getrieben von den big A’s Apple und Amazon und dem Vorreitermarkt USA denken jetzt auch hierzulande alle Verlage daran, am eBook-Boom teilzuhaben, anstatt weiter die Augen zu verschließen. Die gerade zurückliegende Buchmesse 2012 mag dafür ein beredtes Beispiel gewesen sein. Ich möchte jedoch heute gleich einen weiteren Schritt in die Zukunft machen. Dieser könnte gerade für jene Verlage, die bisher noch keine eBooks und eMagazine verlegt haben, eine interessante und erfolgskritische Option sein.

Die Frage lautet: Müssen eBooks denn immer nur down-ge-loaded werden? Sind wir glücklicher, wenn wir unser (digitales) Buch auf unser brandneues, edles Tablet herunter geladen haben und es in unseren Händen halten können? Offensichtlich. „Glückwunsch, Ihr Download wurde erfolgreich abgeschlossen.“  Sie kennen diesen Satz und die Gefühle, die dieser in Ihnen ausgelöst hat. Wow, ich habe ihn jetzt auch, den neuen Song, die neue App, das neue eBook meines Lieblingsautors. Doch was könnte man den sonst machen? Denken Sie einfach an den Satz: Die Zukunft ist immer schon (irgendwo) da.

Man könnte das eBook einfach auf dem eBook-Server des Verlags oder des Vertriebspartners belassen. Natürlich nicht nur das eBook, sondern das (virtuelle) Bücherregal mit dazu, nicht nur das Standardbücherregal, sondern ein vom Kunden nach seinen persönlichen Vorstellungen individuell gestaltetes (virtuelles) Bücherregal. Können wir denn nicht seit langem beim Internet-Serviceprovider unseres Vertrauens mit wenigen Klicks unsere persönliche Homepage gestalten? Laden wir diese denn auf unseren PC herunter? Laden wir denn nicht im Gegenteil gerade unsere Foto-, Video- und Musiksammlung, unser Telefonverzeichnis oder wichtige Dokumente hoch auf den Cloud-Server unseres Vertrauens? My Phonebook, myPhotos, myMusic, wo sind sie den besser und sicherer aufbewahrt, und dazu noch übersichtlicher und leichter auffindbar, als in der Datenwolke unseres Vertrauens? Oder war die regelmäßige Datensicherung schon immer eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen am PC?

Das Haben trägt eben immer das Risiko des Verlusts mit sich. Doch vielleicht liegt gerade darin der Zauber vom Glück des Habens, vom Glück des erfolgreichen Downloads auf unser Gadget? Vielleicht. Dann stünden die Marktchancen der Cloud-Dienstleister nicht so rosig aus. Doch lag nicht schon immer auch ein ganz besonderer Zauber im Recht des Zugangs zu einer Sache oder zu einer Person? Ich habe die Schlüsselgewalt, ich bin zugangsberechtigt, zum meinem Club, zum Chef, zum exklusiven inneren Kreis, zu vertraulichen Informationen und Daten?

Halten wir kurz inne, schauen wir auf heute. Nutzen Sie denn Ihr großes Universallexikon eigentlich noch auf CD oder DVD? Oder Ihr Sprachenlexikon? In Ihrer Rolle, sagen wir als als Jurist, Ingenieur, Wissenschaftler, wann haben Sie denn das letzte Mal auf einer DVD nachgeschlagen oder schlagen sie bereits seit Jahren nur noch in Online-Datenbanken nach? Privat so und beruflich anders? Und aus welchem Jahr stammt denn Ihre letzte Lexiokon-Print-Ausgabe? Und wie stolz sind Sie auf den Besitz ihrer 10-bändigen Printausgabe und wie stolz auf ihrem Recht des Zugangs zur stets aktuellem Online-Ausgabe? Aber privat lesen Sie gerne Historienromane und die möchten Sie alle auf Ihrem Tablet gespeichert haben, neben ihrer Musik- und Fotosammlung und immer bei sich haben? Und bei den (noch) teuren mobilen Online-Tarifen wäre das permanente Online-Lesen ja gar nicht zu bezahlen. Oder doch? Bücher  erzeugen nun ja gar nicht so viel Datenvolumen wie HD-Videos. Muss Ihr nächstes Notebook, das Sie demnächst kaufen wollen, noch eine 1.000 GB Festplatte und ein DVD-Laufwerk haben? Oder reicht Ihnen schon ein 128 GB SSD Speicher und ein SD-Kartenleser? Oder werden Sie gar kein Notebook mehr kaufen, sondern wie viele andere nur noch ein Tablet? Weil Sie jetzt doch davon überzeugt sind, dass das Internet eigentlich heißt: „everything, anytime, anyplace“, also das Ende der Entfernungen?* Entscheidend sei nur der Zugangs-„Schlüssel“ (Smartphone, Tablet, PC, any Gadget), also der technische und rechtliche Access. Also doch vom Glück des Habens zum Glück des Zugangs? Ganz egal, Sie haben Ihre persönliche Entscheidung bereits getroffen. Schauen Sie einfach auf Ihr heutiges Portfolio, dann sehen sie, welche. Doch man kann sich verändern. Unsere Umwelt tut dies auch permanent.

Halten wir nochmal inne. Wir müssen hier (Haben versus Zugang) wohl (noch) differenzieren. Nicht jeder Klavierspieler legt heute schon sein Tablet auf den Notenhalter, um vom Musikserver des Musikverlags per Sprachsteuerung genau die Noten online abzurufen, die er gerade jetzt spielen möchte und nicht jeder Klavierbauer baut heute schon einen digitalen Bildschirm mit Internetzugang und Musiknoten-Flatrate in sein Klavier ein. Das ist doch nicht mein Markt, sagt er. Das überlässt er gerne den Keyboard-Herstellern. Und die Informationswünsche eines Ingenieurs oder Juristen sind andere, als die eines Science-Fiction-Romane Liebhabers oder eines Schülers in der gymnasialen Oberstufe. Doch alle haben sich längst daran gewöhnt, dass die Online-Zeitung online ist. Die Zeitung von heute auf das Tablet herunterladen, nur um sie zu besitzen? Sie sagen es. Blödsinn. Hier zählt dann doch nur das Glück des Zugangs. Fragt sich dann nur, wie lange das Download-Glück der „Hochglanz“-Monatsmagazine-Apps noch anhalten wird?

Also für mich ist die Sache klar. Die Halbwertszeit der Download-Produkte ist überschaubar und weit kürzer, als die ihrer bereits antiquiert wirkenden Vorgänger im Kleide der CD/DVDs. Und wie war das noch? Auch mit Harry Potter lässt sich online in Zukunft noch eine Menge Geld verdienen.

Falls Sie Buch-Verleger oder Business Development Manager sind, vielleicht lohnt es sich, in Ihrem Markt- und Kundensegment, die jetzt startende Download-eBook-Welle auszulassen, anstatt ihr mit teurem Geld hinterherzurennen. Sie ersparen sich eine Menge technischer Probleme und proprietärer Format- und Plattformabhängigkeiten. Starten Sie gleich durch mit dem Online-eBook. Die Zukunft des Buches heißt Print (künftig Nischenmarkt) und Online (künftig Breitenmarkt). Das Haben-Glück verteilt sich auf das schöne, edle, hochwertige, teure gedruckte Buch, das ich in die Hand nehmen und besitzen kann und auf das haptisch-edle Tablet, meinem virtuellen Türschlüssel zum Zugangs-Glück.

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*)  Falls Sie diesen Punkt vertiefen möchten, empfehle ich Ihnen die Thesen drei und vier in diesem Blog.