Samstag, 10. November 2012

Die Zukunft des e-Books heißt online oder vom Glück des Habens

Vom Glück des Habens schreibt die Wirtschaftswoche in der Ausgabe 45/2012. „Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, sind Spiegel unserer Persönlichkeit, Zeugen unserer Biografie.“ Ich meine, dies gilt insbesondere für die Bücher, mit denen wir uns umgeben, die wir lesen, nachschlagen, blättern, verschenken oder einfach nur ins Regal stellen, um sie zu Haben. Ich vermute, Sie haben jetzt nur an Print-Bücher gedacht, vielleicht an besonders schöne und haptisch gelungene Bücher.

Vielleicht haben Sie jedoch auch an die haptisch-sensuelle Oberfläche und das edle Design ihres brandneuen Tablets- oder eReaders gedacht, auf dem sie mittlerweile hunderte von Musikfiles und immerhin bereits dutzende von „schönen“ (digitalen) Büchern oder Magazinen aus einem Webshop, also dem digitalen Buchhändler ihres Vertrauens, auf Ihr edles Gerät heruntergeladen haben, das es zudem automatisch in ein wunderschön gestaltetes virtuelles Bücherregal gelegt hat. Natürlich mit all den Gedanken und Notizen, die sie beim ein- oder mehrmaligem Lesen gehabt haben und flugs, mit einem ebenso schönen Digitalstift, direkt in ihr digitales Buch geschrieben haben. Design matters und wie sehr dies gerade auch für digitale Hör-, Seh- und Leseplattformen und nicht nur für Bücher auf Papier gilt, haben die Verlage von Apple lernen dürfen oder müssen, je nachdem wie sie das sehen (wollen).

Soweit so gut. Dass das Kulturgut Buch sich nicht über das Trägermedium Papier definiert ist, auch wenn wir dies über Jahrhunderte vergessen zu haben scheinen –  Sie erinnern sich, es gab vor dem Trägermedium Papier bereits andere Trägermedien für Inhalte –  ist mittlerweile nicht nur in der Verlagswelt, sondern auch in der politischen Welt angekommen. Getrieben von den big A’s Apple und Amazon und dem Vorreitermarkt USA denken jetzt auch hierzulande alle Verlage daran, am eBook-Boom teilzuhaben, anstatt weiter die Augen zu verschließen. Die gerade zurückliegende Buchmesse 2012 mag dafür ein beredtes Beispiel gewesen sein. Ich möchte jedoch heute gleich einen weiteren Schritt in die Zukunft machen. Dieser könnte gerade für jene Verlage, die bisher noch keine eBooks und eMagazine verlegt haben, eine interessante und erfolgskritische Option sein.

Die Frage lautet: Müssen eBooks denn immer nur down-ge-loaded werden? Sind wir glücklicher, wenn wir unser (digitales) Buch auf unser brandneues, edles Tablet herunter geladen haben und es in unseren Händen halten können? Offensichtlich. „Glückwunsch, Ihr Download wurde erfolgreich abgeschlossen.“  Sie kennen diesen Satz und die Gefühle, die dieser in Ihnen ausgelöst hat. Wow, ich habe ihn jetzt auch, den neuen Song, die neue App, das neue eBook meines Lieblingsautors. Doch was könnte man den sonst machen? Denken Sie einfach an den Satz: Die Zukunft ist immer schon (irgendwo) da.

Man könnte das eBook einfach auf dem eBook-Server des Verlags oder des Vertriebspartners belassen. Natürlich nicht nur das eBook, sondern das (virtuelle) Bücherregal mit dazu, nicht nur das Standardbücherregal, sondern ein vom Kunden nach seinen persönlichen Vorstellungen individuell gestaltetes (virtuelles) Bücherregal. Können wir denn nicht seit langem beim Internet-Serviceprovider unseres Vertrauens mit wenigen Klicks unsere persönliche Homepage gestalten? Laden wir diese denn auf unseren PC herunter? Laden wir denn nicht im Gegenteil gerade unsere Foto-, Video- und Musiksammlung, unser Telefonverzeichnis oder wichtige Dokumente hoch auf den Cloud-Server unseres Vertrauens? My Phonebook, myPhotos, myMusic, wo sind sie den besser und sicherer aufbewahrt, und dazu noch übersichtlicher und leichter auffindbar, als in der Datenwolke unseres Vertrauens? Oder war die regelmäßige Datensicherung schon immer eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen am PC?

Das Haben trägt eben immer das Risiko des Verlusts mit sich. Doch vielleicht liegt gerade darin der Zauber vom Glück des Habens, vom Glück des erfolgreichen Downloads auf unser Gadget? Vielleicht. Dann stünden die Marktchancen der Cloud-Dienstleister nicht so rosig aus. Doch lag nicht schon immer auch ein ganz besonderer Zauber im Recht des Zugangs zu einer Sache oder zu einer Person? Ich habe die Schlüsselgewalt, ich bin zugangsberechtigt, zum meinem Club, zum Chef, zum exklusiven inneren Kreis, zu vertraulichen Informationen und Daten?

Halten wir kurz inne, schauen wir auf heute. Nutzen Sie denn Ihr großes Universallexikon eigentlich noch auf CD oder DVD? Oder Ihr Sprachenlexikon? In Ihrer Rolle, sagen wir als als Jurist, Ingenieur, Wissenschaftler, wann haben Sie denn das letzte Mal auf einer DVD nachgeschlagen oder schlagen sie bereits seit Jahren nur noch in Online-Datenbanken nach? Privat so und beruflich anders? Und aus welchem Jahr stammt denn Ihre letzte Lexiokon-Print-Ausgabe? Und wie stolz sind Sie auf den Besitz ihrer 10-bändigen Printausgabe und wie stolz auf ihrem Recht des Zugangs zur stets aktuellem Online-Ausgabe? Aber privat lesen Sie gerne Historienromane und die möchten Sie alle auf Ihrem Tablet gespeichert haben, neben ihrer Musik- und Fotosammlung und immer bei sich haben? Und bei den (noch) teuren mobilen Online-Tarifen wäre das permanente Online-Lesen ja gar nicht zu bezahlen. Oder doch? Bücher  erzeugen nun ja gar nicht so viel Datenvolumen wie HD-Videos. Muss Ihr nächstes Notebook, das Sie demnächst kaufen wollen, noch eine 1.000 GB Festplatte und ein DVD-Laufwerk haben? Oder reicht Ihnen schon ein 128 GB SSD Speicher und ein SD-Kartenleser? Oder werden Sie gar kein Notebook mehr kaufen, sondern wie viele andere nur noch ein Tablet? Weil Sie jetzt doch davon überzeugt sind, dass das Internet eigentlich heißt: „everything, anytime, anyplace“, also das Ende der Entfernungen?* Entscheidend sei nur der Zugangs-„Schlüssel“ (Smartphone, Tablet, PC, any Gadget), also der technische und rechtliche Access. Also doch vom Glück des Habens zum Glück des Zugangs? Ganz egal, Sie haben Ihre persönliche Entscheidung bereits getroffen. Schauen Sie einfach auf Ihr heutiges Portfolio, dann sehen sie, welche. Doch man kann sich verändern. Unsere Umwelt tut dies auch permanent.

Halten wir nochmal inne. Wir müssen hier (Haben versus Zugang) wohl (noch) differenzieren. Nicht jeder Klavierspieler legt heute schon sein Tablet auf den Notenhalter, um vom Musikserver des Musikverlags per Sprachsteuerung genau die Noten online abzurufen, die er gerade jetzt spielen möchte und nicht jeder Klavierbauer baut heute schon einen digitalen Bildschirm mit Internetzugang und Musiknoten-Flatrate in sein Klavier ein. Das ist doch nicht mein Markt, sagt er. Das überlässt er gerne den Keyboard-Herstellern. Und die Informationswünsche eines Ingenieurs oder Juristen sind andere, als die eines Science-Fiction-Romane Liebhabers oder eines Schülers in der gymnasialen Oberstufe. Doch alle haben sich längst daran gewöhnt, dass die Online-Zeitung online ist. Die Zeitung von heute auf das Tablet herunterladen, nur um sie zu besitzen? Sie sagen es. Blödsinn. Hier zählt dann doch nur das Glück des Zugangs. Fragt sich dann nur, wie lange das Download-Glück der „Hochglanz“-Monatsmagazine-Apps noch anhalten wird?

Also für mich ist die Sache klar. Die Halbwertszeit der Download-Produkte ist überschaubar und weit kürzer, als die ihrer bereits antiquiert wirkenden Vorgänger im Kleide der CD/DVDs. Und wie war das noch? Auch mit Harry Potter lässt sich online in Zukunft noch eine Menge Geld verdienen.

Falls Sie Buch-Verleger oder Business Development Manager sind, vielleicht lohnt es sich, in Ihrem Markt- und Kundensegment, die jetzt startende Download-eBook-Welle auszulassen, anstatt ihr mit teurem Geld hinterherzurennen. Sie ersparen sich eine Menge technischer Probleme und proprietärer Format- und Plattformabhängigkeiten. Starten Sie gleich durch mit dem Online-eBook. Die Zukunft des Buches heißt Print (künftig Nischenmarkt) und Online (künftig Breitenmarkt). Das Haben-Glück verteilt sich auf das schöne, edle, hochwertige, teure gedruckte Buch, das ich in die Hand nehmen und besitzen kann und auf das haptisch-edle Tablet, meinem virtuellen Türschlüssel zum Zugangs-Glück.

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*)  Falls Sie diesen Punkt vertiefen möchten, empfehle ich Ihnen die Thesen drei und vier in diesem Blog.

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Schule 2020 – Das digitale Klassenzimmer der Zukunft. Cyber-Classroom versus Tablet.

Erinnern Sie sich noch an die ersten Verkaufsprognosen der Analysten beim Start des ersten iPhone im Jahr 2007? Man traute dem Smartphone maximal ein Nischendasein im Businesssegment zu. Es kam dann  ganz anders, wie wir heute wissen. Ist es also vermessen, heute von folgender Annahme auszugehen: Heute in acht Jahren besitzt jeder, also wirklich jeder Schüler ein Tablet.

Und können sie sich vorstellen, dass heute, also Oktober 2012,  jeder Lehrer und Schüler intuitiv ein sogenanntes Whiteboard samt der zugehörigen proprietären Lehrmittel-Software bedienen kann? Schwierig. Und können sie sich vorstellen, dass noch im nächsten Jahr, also in 2013, alle unsere Behörden entscheiden, dass alle Klassenzimmer innerhalb von sagen wir mal acht Jahren mit einem Whiteboard ausgerüstet werden und die gute alte Kreidetafel aus dem Klassenzimmer verbannt wird? Noch schwieriger.

Wagen wir einen Zeitsprung von acht Jahren. Ich bin überzeugt, dass auch in 2020 die Mehrzahl aller staatlichen Schulen in diesem Lande mit der guten alten Kreidetafel arbeiten, ein großer Teil der Schüler weiterhin bis zu 10 Schulbücher pro Tag in die Schule schleppen und die Hälfte aller Lehrer weiterhin damit einen guten Unterricht machen werden. Doch was machen die anderen? Die anderen, Schüler oder Lehrer, ganz egal, haben ihr persönliches Tablet auf der Schulbank liegen und schlagen damit online, nicht offline, auf die gleichen Inhalte zu, wie der Banknachbar, der das Print-Buch aufschlägt. Da Print-Titel und Online-Titel identisch sind, können Schüler wie Lehrer, entweder mit Print oder Tablet arbeiten, beliebig gemischt.

Es gibt keinen Zwang, dass alle Schüler oder alle Lehrer mit dem Tablet arbeiten müssen oder alle mit Print arbeiten müssen. Und es gibt keinen Zwang, dass alle Schulen und alle Klassenzimmer gleichzeitig mit digitaler Technik hochgerüstet werden müssen, alle Lehrer von der Kreidetafel zum Whiteboard wechseln müssen. Tablet-Buch und Print-Buch arbeiten harmonisch zusammen, Hand in Hand. Nicht nur Schüler und Lehrer, auch die Schulen können das Tempo des Medienwandels ihrer persönlichen Situation anpassen.

Klar sind aus Sicht der Schüler die Tablet-Schüler eindeutig im Vorteil und werden von den (Papier-)Buch-Schülern beneidet. Es wird also gar nicht lange dauern, bis alle Schüler ihr persönliches Tablet haben. Denn die (Online-)Tablets sind nicht nur cool, sie können auch viel mehr, als die Print-Bücher. Und immer mehr Lehrer helfen den Schülern dieses Mehr für die Entwicklung ihrer individuellen Leistungspotenziale zu erschließen. Und immer mehr private Nachhilfe-Dienstleister werden sich online an die behördlich zugelassenen (digitalen) Bücher mit ihren Erweiterungen andocken.

 Doch ganz besonders cool wird sein, die Bildungspolitiker wird dies freuen, dass die Schulen respektive die Sachaufwandsträger keinerlei zusätzlichen Kosten aufwenden müssen. Ihr Tablet nennen die Schüler in 2020 so selbstverständlich ihr Eigen, wie heute ihre Handys. Und niemand hindert die Schulen, zusätzlich in hight-tech Cyberrooms zu investieren, wenn denn das Geld und die Überzeugung dazu vorhanden sind. Und ebenso cool wird sein, dass auch die Schulbuchverlage signifikant Kosten sparen könnten. Wie andere Fachverlage auch, werden die Schulbuchverlage erkennen, dass ihre Kernleistung in den Inhalts-Marken liegt und nicht in der Online-Technik. Muss den jeder Verlag seine eigene Online-Datenbank aufbauen? Könnten die Verlage nicht sagen, unsere Inhalts-Marken stehen im Wettbewerb, aber bei der Online-Technik, da nützen wir die Skalierungseffekte durch ein gemeinsames Vorgehen.

 Alles es nur Visionen? Wer ist eigentlich dafür verantwortlich, was im Jahr 2020 in den Klassenzimmern unserer Schulen passiert oder nicht passiert, dafür verantwortlich, dass mit Hilfe neuer Technologien ein besserer Unterricht erfolgen kann? Die Lehrer, die Schüler, die Eltern, die Behörden, die Wissenschaft, die Politik, die Schulverlage? Apple, Microsoft, Google? Alle zusammen? Niemand, also der Markt?

 Beispiel Südkorea. Hier fühlen sich die Behörden verantwortlich, dass bereits ab 2015 der Unterricht an allen staatlichen Schulen zu 100% digital erfolgen wird. Auch hierzulande gibt es vielerorts lokale Initiativen, die Klassenzimmer mit digitaler Technik zum Cyberroom hochzurüsten. Ist das gut, fortschrittlich? Lernen unsere Kinder dann automatisch besser? Und wer soll das bezahlen, die Eltern, der Steuerzahler, … ? Und was soll aus den gedruckten Büchern werden? Darf das Kulturgut (gedrucktes) Buch überhaupt aus den Schulen verschwinden? Viele Fragen.

 In Gesprächen haben mir einige Behördenvertreter gesagt, Lehrmittel, also auch digitale Lehrmittel, das sei Aufgabe des Marktes, da sind wir nicht zuständig. Und die Schulbuchverlage sagen mir, wir sind kundenorientiert. Wir verlegen, was die Kunden haben möchten. Nur dann sind wir wirtschaftlich erfolgreich. Wirklich? Wusste 2007 nur Apple, was die Handy-Kunden wollten und alle anderen Handy-Hersteller nicht? Wie sagte schon Henry Ford vor über 100 Jahren. Hätte ich die Kunden gefragt, was sie haben wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde. Wissen die Schüler, die Eltern, die Lehrer, die Schulbürokratie welche Art von Unterrichtskonzepten im nächsten Jahr und in 2020 mit dem Stand der Technik möglich ist? Also nochmal, wer ist verantwortlich für das Klassenzimmer im Jahr 2020?  Wer nimmt das Heft in die Hand und marschiert voraus? Sie?

 Replik. Das digitale Klassenzimmer, der neue Weg aus der Bildungskrise? In den USA gibt es Schulen, die haben unlängst beschlossen, die an alle Schüler kostenlos ausgegebenen Tablets wieder einzusammeln, da der Unterricht dadurch nicht besser geworden ist. Nun, ich halte es hier mit Bill Gates, der sagt, dass die Technik alleine noch kein Garant für eine gute Schule ist. Doch wie wir alle wissen, ist das Festhalten an Print-Schulbüchern auch kein Garant für eine gute Schule.

 Und die Schulkreide-Hersteller? Sie müssen sich auf einen ganz langsamen Rückgang ihrer Verkaufszahlen einstellen. Neue Kreidetafeln werden nur noch ganz selten verkauft, doch die bestehenden Kreidetafeln werden von Schülern wie Lehrern im Jahr 2020 immer noch gerne, teilweise aus einem nostalgischen Gefühl heraus genutzt. Die Whiteboards werden in jenen Schulen, in denen die Lokalpolitik keine Angst vor der „digitalen“ Demenz hatte, zur ganz gewöhnlichen Grundausstattung gehören. Wie sehen Sie das?

Freitag, 21. September 2012

Strategische Kennzahlen für Fachverlage und Fachmedien

Im Blogeintrag  „Strategisches Controlling“  habe ich argumentiert, dass das operative Controlling lediglich aufzeigt, wie gut ein Verlag seine geplanten Ziele im laufenden Geschäftsjahr erreicht. Es macht keine Aussage darüber, wie anspruchsvoll oder einfach die Planung selbst war. Es ist eine Sache, bei einem anspruchsvollen Plan unter Plan abzuschneiden, oder bei einem „leichten“ Plan, über Plan abzuschneiden.  Dabei ist es egal, ob die zu anspruchsvolle oder zu leichte Planung aus taktischer Absicht oder aus falscher Markteinschätzungen erfolgte. Das Ergebnis ist immer gleich, nämlich eine nicht an den tatsächlichen Marktchancen orientierte Unternehmensentwicklung.

Erst in Verbindung mit einem strategischen Controlling, kann die Leistung „von außen“, unter Bezug auf die Strukturdaten des Marktumfeldes bewertet werden. Die Zielsetzung ist klar: Geschäftsführung und Eigentümer müssen beurteilen können, ob die Verlagsentwicklung, Planerfüllung hin oder her, in Bezug zum Gesamtmarkt eine Stärkung oder Schwächung der Marktstellung  darstellt.

Seit gut zehn Jahren befinden sich die Verlage  in einem nachhaltigen Strukturwandel. Die Metatrends Digitalisierung und Medienwandel  führen zu einem kontinuierlichen Rückgang der Printverkäufe und Printumsätze  einerseits und zu einem stetigen Wachstum der digitalen Produktangebote.  Ausmaß und Tempo der Veränderung variieren jedoch erheblich, je nach Medienkategorie und Marktsegment, und unterliegen immer wieder neuen Impulsen aufgrund neuer technischer Innovationen. So ist jetzt aktuell zum Beispiel davon auszugehen, dass mit dem Verschmelzen der PC- und Tablet-Betriebssysteme (Stichwort Windows 8 und Android  4) und der neuen darauf aufbauenden Tablet-PC-Geräte-Generation dem eBook ein zweiter und deutlich stärkerer Wachstumsschub verliehen wird, der endgültig dafür sorgen wird, dass der bisher marginale einstellige eBook-Marktanteil innerhalb der nächsten Jahre auch hierzulande zweistellig werden wird.  
 
Schwierig abzuschätzen bleibt hierbei u.a.,  ob sich die Printverkäufe 1:1 in digitale Verkäufe verschieben oder die eBook-Verkäufe stärker zunehmen als die Print-Verkäufe zurückgehen oder in welchen Segmenten z.B. Hybrid-Pakete die beste Angebotsform sind, um neue Marktanteile über den Medienwandel zu gewinnen oder zumindest bestehende zu halten. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Entwicklungen, selbst innerhalb der gleichen Marktsegmente, war in der Vergangenheit zu beobachten, was die „richtigen“ Prognosen zur Marktentwicklung weiterhin erschwert. Selbst Aussagen darüber, ob der Gesamtmarkt aus Print und Digital zusammen, weiter wachsen oder sinken wird sind heute mit einem Fragezeichen zu versehen. Probieren geht über Studieren lautete daher die Devise.

Eine Hilfestellung gibt es jedoch, die zu wenig genutzt wird.Die kybernetische Systemanalyse  hat seit vielen Jahren die Dynamik von Veränderungsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft erforscht. Ergebnis: Veränderungen erfolgen praktisch ausnahmslos dem Muster einer S-Kurve. Die Veränderungsrate verläuft zunächst sehr langsam,  beschleunigt sich dann exponentiell, erreicht den Wendepunkt und verlangsamt sich dann bis zum Sättigungspunkt.

Der konkrete Verlauf der s-förmigen Veränderungskurve verläuft in jedem Marktsegment unterschiedlich. Diesen konkreten Verlauf im eigenen Marktsegment sichtbar zu vermachen und bezogen auf die konkreten Veränderungs-kräfte zu verstehen, ist Aufgabe der kritischen Erfolgsfaktoren und der strategischen Kennzahlen. Im Dataware-House der Verlage liegen meist weit mehr Daten, als den Verlagen bewusst ist und die sie demzufolge eben auch nicht nutzen.

Ein einfacher Ansatz um die Entwicklung der nächsten 5 Jahre zu schätzen ist, sich die Entwicklung der letzten 10  Jahre vor Augen zu halten. Durch den Blick zurück erkennen Sie  das Muster Ihres bisherigen Kurvenverlaufs und können, je nach derzeitiger Lage auf der S-Kurve, den weiteren Verlauf deutlich besser abschätzen. Durch den langen Zeitraum sind „Verzerrungen“ durch auf Jahresebene wirkende Einzelmaßnahmen oder Sondereffekte leichter erkennbar. Im zweiten Schritt schätzen Sie mit Hilfe Ihrer spezifischen Kundenkenntnisse ab, inwieweit  durch in den nächsten Jahren bevorstehende technische Innovationen, zum Beispiel Windows 8, Tablet-PC-Entwicklung, Cloud-Computing, u.a. sich die Arbeits- und Informationsprozesse Ihrer Kunden und Zielgruppen verändern werden und in Folge dessen sich Ihre Verlagsangebote strukturell anpassen müssen.

Welche Kennzahlen in diesem Sinne strategische Bedeutung haben  ist abhängig vom jeweiligen Marktsegment und den konkreten strategischen Zielen. Für den typischen Buch- und Zeitschriftenverlag  sollten jedoch folgende fünf Kennzahlen stets zum Pflichtprogramm gehören:
 
1.         Marktanteilsquote nach Kunden: Diese spiegelt die Attraktivität und den Nutzen Ihres Gesamtportfolios. Sinkende Kundenzahlen sind ein Indikator für eine schleichend  abnehmende Nutzenattraktivität des Portfolios, falsches Pricing oder Defizite in der Vertriebsarbeit. Differenziert nach Print- und Digital-Produkten spiegelt sie den Medienwandel in Ihrem Marktsegment wieder.

2.         Verkaufsquote je Kunde über alle Produkte, differenziert nach Produktkategorien sowie Print und Digital: Steigende Verkaufszahlen je Kunde deuten darauf hin, dass das Portfolio die Informationswünsche der Kunden besser und breiter (thematisch und/oder formatmäßig) erfüllt. Wichtig ist, Veränderungen und Verschiebungen innerhalb der einzelnen Produkt- und Themensegmente zu erkennen, weshalb diese Quote differenziert gemessen werden muss. Sinkende Verkäufe, bei gleichbleibender thematischer Aktualität,  sind ein Indikator für falsche/fehlende  Themen oder falsche/fehlende  Produktformate. Auch hier werden Sie Ihren verlags-spezifischen Medienwandel erkennen und mit der Gesamtmarktentwicklung vergleichen können.

3.         Durchschnittspreis:  Die Entwicklung des Durchschnittspreises über alle Produkte und differenziert nach Produktformen (Buch, Zeitschrift, eBook etc.) ist ebenfalls ein guter Indikator für die Marktstärke des Portfolios.  Ein steigender Durchschnittspreis bei gleichbleibenden oder steigenden Verkäufen weist darauf hin, dass das bisherige Pricing Luft nach oben hatte. Wichtig ist, die Preisentwicklung auch inflationsbereinigt zu analysieren. Kennzeichnend für die letzten zehn Jahre ist für viele Marktsegmente, dass der Umsatz dank höherer Preise gehalten werden konnte, die Verkäufe und Auflagen jedoch absolut zurückgingen. Auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf strukturelle Marktverschiebungen.

4.         Durchschnittsauflage: Eine über die Jahre hinweg sinkende oder steigende Auflage spiegelt ebenfalls die Nutzenattraktivität und verschlechtert oder verbessert in der Regel direkt die Ergebnissituation. Auch hier kann die Differenzierung nach Print und Digital u.a. die fortschreitende Medienverschiebung sichtbar machen und einen Hinweis auf das künftige Veränderungstempo geben.

5.         Durchschnittskosten je Produkt (Stückkosten): Diese Zahl ist direkt von der Durchschnittsauflage abhängig.  Zurückgehende Auflagen bedeuten in der Regel steigende Stückkosten und verschlechtern das Verlagsergebnis strukturell. Auch hier empfiehlt sich die Differenzierung nach Produktgruppen. In Verbindung mit Portfolioanalysen können dann gezielt Programmbereinigungen und deren Auswirkungen auf das Verlagsergebnis berechnet werden.

Bereits mit Hilfe dieser fünf Kennzahlen können Sie, unabhängig von der operativen Bottom-up-Planung der einzelnen Bereichsleiter, die Prognosen für das Jahresendergebnis und für den Geschäftsplan des nächsten Jahres auf Plausibilität prüfen.  Und gerade vor dem Hintergrund, dass die Schnelligkeit von strukturellen Veränderungen fast immer überschätzt und das Ausmaß dagegen häufig unterschätzt wird, können die richtigen Kennzahlen zu  besseren 5-Jahres-Prognosen führen. Diese Kennzahlen lassen sich auf einer einzigen Seite darstellen. Damit sehen Topmanagement und Aufsichtsrat auf einen Blick, wie sich die Performance des Verlages entwickelt und können bei Bedarf gezielt intervenieren. Durch die Kommentierungspflicht der Kennzahlen durch die Bereichsleiter, parallel zum monatlichen operativen Reporting, verbessert sich kontinuierlich das Wissen über die Wirkungsmechanik und die Entwicklungsdynamik Ihres Marktsegments. Letztendlich können Sie das System Schritt für Schritt zu einer rollierenden 5-Jahresplanung weiterentwickeln und so die mittelfristige Unternehmensentwicklung schneller an die Veränderungsdynamik des Marktes anpassen.

Samstag, 15. September 2012

Strategisches Controlling für Fachverlage - Erfolgreich navigieren im Medienwandel

Wie hoch ist eigentlich der Marktanteil der neuen Medien in 2011 gewesen? Und wie hoch wird er in 2012 und 2013 sein? Und wie hoch ist Ihr Marktanteil? Im Bereich der neuen Medien, im Bereich der Printmedien? Insgesamt und in den einzelnen Geschäftsfeldern und Marktsegmenten? Wächst dieser schneller oder langsamer als der Markt und was bedeutet das für Ihren Verlag? Strategisches Controlling sollte die Antworten auf solche Fragen geben.

Das operative Controlling sagt uns: Werden wir unser Jahres-Ziel erreichen und wie hoch wird die Abweichung nach oben oder unten ausfallen? Die entscheidende Frage ist: Ab wann spätestens muss diese Antwort vorliegen und wie genau? Bereits Ende des ersten Quartals oder reicht es, wenn wir Ende November wissen, ob wir unser Jahres-Ziel z.B. auf plus/minus 1-2% erreicht haben? Je früher, desto bester, lautet die plantonische Antwort, im Idealfall aber so früh, dass Sie noch rechtzeitig durch neue Maßnahmen gegensteuern können.  

Was bedeutet es nun, wenn Ihre operativen Controlling-Daten im September vorhersagen, dass Sie Ihren Gesamt-Umsatz  für das laufende Geschäftsjahr zum Beispiel um 10% überschreiten werden? Alles wunderbar? Kann sein, muss nicht sein. Denn, der Bewertungsrahmen für die Qualität des Jahresziels ergibt sich allein aus dem Markt- und Wettbewerbsumfeld und nicht aus der eigenen Vergangenheit. Wenn Ihre direkten Wettbewerber Ihren Umsatz zum Beispiel „nur“ um 5% gesteigert haben, dann vielleicht wunderbar. Muss aber nicht sein. Es könnte sein, dass neue oder indirekte Wettbewerber, die Sie bislang nicht auf Ihrem Marketingradar hatten, Ihren Umsatz um 50% gesteigert haben und der Gesamtmarkt um 15% gewachsen ist. In diesem Fall muss man konstatieren, dass sie trotz 10% Umsatzplus Marktanteile verloren haben. Dann nicht mehr wunderbar? Auch das kann man noch nicht sagen, vielleicht haben Sie Ihren Gesamt-Umsatz ja nur deshalb lediglich um 10% steigern können, da Sie bestimmte Geschäftsfelder veräußert oder unrentable Vertriebswege eingestellt haben und Ihr Ziel in der Erhöhung  des Umsatzes je Kunde bestand.

Woran also die Bewertung „erfolgreich“ festmachen? Traditionellerweise halten wir uns hierbei an der eigenen Vergangenheit fest. Jahrelang  war dies auch ok, ist auch weiterhin ok, aber nur in Märkten, die keinem strukturellen Wandel unterworfen sind. Von struktureller Stabilität sind die Medienmärkte allerdings heute weit entfernt.

Woran also „erfolgreich“ festmachen? Durch den Bezug zum Gesamtmarkt. Und zwar zum Gesamtmarkt von heute und morgen. Denn, heute erfolgreich, zählt in einem Jahr schon nichts mehr. Damit sind wir beim strategischen Controlling und bei der Verlagsstrategie. Die Strategie soll festlegen, welche Ziele der Verlag künftig erreichen möchte oder aufgrund betriebswirtschaftlicher Zwänge muss. Das strategische Controlling soll sicherstellen, dass wir auch zukünftig erfolgreich sind, analog zum operativen Controlling, das sicherstellen soll, dass wir die Ziele des aktuellen Geschäftsjahres erreichen. Ob künftig nun 5 Jahre oder drei Jahre oder 10 Jahre bedeutet, ist je nach Marktsegment unterschiedlich und muss im Rahmen der Strategie festgelegt werden.

Viele Verlage  haben ein dezidiertes Planungsritual, anhand dessen der Umsatz- und Budgetplan  für das Folgejahr erarbeitet wird. Das  Ziel lautet in der Regel: Aktuelle Marktstellung halten oder ausbauen. Das übliche Vorgehen ist, dass der aktuelle Jahresplan einfach fortgeschrieben wird und in einzelnen Bereichen, aus intuitivem Erfahrungswissen heraus, Entwicklungen abgeschwächt oder verstärkt werden. Häufig fordert die Geschäftsleitung über den Geschäftsplan des Folgejahres hinausgehend auch einen „strategischen“ 5-Jahresplan. Allein an der Formulierung 5-Jahresplan spüren Sie schon, dass Sie das oftmals nicht mehr so ernst oder genau nehmen, wie das operative Controlling. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt, sagt schon der Volksmund.  An dieser Stelle muss man jedoch klar unterscheiden: Sprechen wir von Zielen auf Produkt-/Objektebene oder Unternehmensebene. Auf der Unternehmensebene sind verlässliche mehrjährige Umsatz- und Kostenprognosen fast immer für die Unternehmensfinanzierung unverzichtbar.

Häufig wird der sogenannte „strategische“ 5-Jahresplan nur auf der (aggregierten) Verlagsebene erstellt und nicht differenziert nach Produktgruppen, Programmen oder Produkten. An dieser Stelle sind wir dann beim Thema mangelhafte Strategieumsetzung. Warum Strategien oft „versanden“, liegt fast immer daran, dass wir den Weg zu den längeren Zielen nicht operativ definieren und die erforderlichen Schritte auf dem Weg dorthin vorausplanen. Die Planung wird üblicherweise im 4. Quartal unter Zeitdruck erstellt, danach konzentriert man sich auf das Jahresendgeschäft und zu Beginn des nächsten Jahres  ist man wieder gut damit beschäftigt, die aktuellen Jahresziele zu erreichen. Dieses Vorgehen ist natürlich weder eine Strategie noch eine Strategieumsetzung, sondern ein sich-treiben-lassen vom Tagesgeschäft.

Eine gute Strategie muss nicht nur das Ziel beschreiben, sondern auch die erfolgskritischen und messbaren Meilensteine auf dem Weg zum Ziel. Und eine gute Strategie muss, unter Bezug auf die Marktstruktur und die Wettbewerber, aufzeigen, ob die Ziele realistisch sind. So kann zum Beispiel ein 5-Jahresziel bezogen auf den Anteil von Tablet-eBooks nur realistisch sein, wenn klar ist, dass sich der Verbreitungsgrad der Tablets entsprechend erhöht. Die strategischen Ziele müssen also auf die konkrete Produktebene heruntergebrochen werden. Es funktioniert nicht, wenn Sie beispiels-weise nur planen: in 5 Jahren soll der Anteile an neuen Medien X % betragen. Erst wenn Sie die Planungen auf der Produktebene konkretisieren, welche Medien genau, eBooks, für welche Geräte, Betriebssysteme, Online-Portale, welche Inhalte, welche Zielgruppen, welche Angebotsmodelle, welche Preise, können Sie über eine „Rückwärts-Modellierung“ berechnen, ob die gesetzten Ziele über die Zeitschiene realistisch sind. Dieser Aufwand erscheint vielen Verlagen oft zu hoch.

Doch erst auf der konkreten Ebene können wir mit intuitiven Heuristiken  bewerten, ob die getroffenen Annahmen riskant, optimistisch oder pessimistisch sind. Dazu benötigen wir Kennzahlen, die einerseits die künftige Markt-entwicklung abbilden und andererseits unsere relative Stellung dazu. Markt- und Zielgruppen-Strukturkennzahlen sind das Fundament jeder Marketingabteilung und müssen kontinuierlich aktualisiert werden. Darauf aufbauend können dann mit Hilfe von Verhältniskennzahlen realistisch mögliche Abschöpfungs-Szenarien berechnet werden. Zum Beispiel: Durchschnittsumsatz/-Kosten je Kunde, je Verkauf oder Durchschnittsverkäufe je Kunde, je Vertriebsaktion, Durchschnittspreise je Produkt/Produktlinie, differenziert nach Produktkategorie, Zielgruppensegmenten, Vertriebskanälen, Regionen und aggregiert auf der Bereichs- und Verlagsebene. Dadurch erhalten sie, parallel und unabhängig von der oben geforderten bottom-up Planung  eine alternative Umsatz- und Ergebnismodellierung. Dies ist gerade bei großen Verlagshäusern mit vielen unterschiedlichen Geschäftsfeldern für Geschäftsleitung und Aufsichtsrat ein gutes Instrument, mit wenig Aufwand die Vielzahl der einzelnen bottom-up Planungen der einzelnen Unternehmensbereiche auf Plausibilität zu prüfen.

Mit Hilfe psychologischer Preisbarrieren und Preiserwartungen können Sie bottom-up Planungen auf sowohl zu optimistische als auch zu pessimistische Annahmen überprüfen. Beides ist für eine an den tatsächlichen Marktchancen orientierte Unternehmensentwicklung schädlich. Das strategische Ziel lautet: alle realistischen Chancen zu erkennen und umzusetzen. Nur das garantiert, dass man die bisherige Marktposition halten oder ausbauen kann.

Damit die (strategischen) 5-Jahresziele nicht aus den Augen verloren und die Meilensteinschritte kontinuierlich abgearbeitet werden, müssen also diese ebenso regelmäßig sichtbar gemacht  werden, wie das operative Controlling die Entwicklung des aktuellen Geschäftsjahres sichtbar macht. Operatives und strategisches Controlling sind damit zwei Seiten einer Medaille.  Denn wie gesagt, der heutige Erfolg ist kein Wegweiser für den Erfolg von Morgen.

Freitag, 7. September 2012

Windows 8 alleine reicht noch nicht: Der digitale Kunde will alles

Ende Oktober ist es soweit, ein neuer Meilenstein auf dem langen Weg des digitalen Medienwandels, Steve Ballmer spricht gar von der wichtigsten Innovation seit 17 Jahren, seit Einführung von Windows 95, steht bevor. Ich meine, Steve Ballmer hat recht.

Windows 8 wird den Medienwandel von Print zur digitalen Lese- und Nutzungsplattform deutlich beschleunigen.  Durch das Verschmelzen der bisher getrennten Betriebssysteme für PC und Tablets wird das Tablet vor allem im Buch- und Zeitschriftenbereich viele Leser von den Print-Ausgaben zu den Tablet-Ausgaben ziehen. Eile ist daher geboten, für alle Titel, die noch keine Tablet-Ausgabe besitzen. Doch die Folgen gehen viel weiter.

Ich möchte als mobiler Alltagsmensch jederzeit, an jedem Ort lesen, schreiben, telefonieren, fotografieren und filmen können und ich möchte dabei nicht ein Handy und ein Tablet und ein Notebook und einen Fotoapparat und eine Filmkamera mitherumtragen müssen. Ich möchte ein Gerät, das alles kann. Dafür nehme ich für unterwegs einen kleinen Bildschirm in Kauf, zu Hause oder im Büro nutze ich aber gerne den großen Bildschirm eines Notebooks oder eines TV-Geräts oder als ambitionierter Fotograf auch eine extra Foto- oder Filmkamera. Und ich möchte keinesfalls jeweils verschiedene Programme und Applikationen, je nach Geräteart nutzen müssen, das ist mir zu kompliziert. Wenn ich diese vielen schönen Sachen nicht spontan und intuitiv nutzen kann, dann lasse ich es einfach. So wichtig ist es dann meist doch nicht. Deshalb bin ich zur Android-Plattform gewechselt, zumindest auf den mobilen Geräten wie Handy und Tablet, viele andere schon vor Jahren zu iPhone und iPad.

Für Smartphone, eReader, Tablet, Notebook, für jede Geräteklasse eine eigene Anwendung programmieren und dann noch zwischen verschiedenen Datenformaten und DRM-Systemen variieren und dann noch auf  drei  Plattformen, also iOS, Android und Windows 8 anpassen? Technologisch kein Problem, aber organisatorisch und kalkulatorisch, gerade für die kleinen Reichweiten im Markt der Special Interests und Fachinformationen,  ein klares K.O.-Kriterium. Doch es geht auch anders, einfacher, Google hat es mit Android vorgemacht, eine Software-Plattform für alle Geräteklassen, Microsoft hat nun mit Windows 8 nachgezogen, Apple wird in Kürze nachziehen (müssen). Goldene Zeiten also für Verlage und Applikationsentwickler? Endlich nur eine einzige digitale Version entwickeln müssen, die auf allen Geräten und Systemplattformen läuft?

Nein. Es fehlt noch was. Ich möchte als Kunde nicht nur jederzeit und überall lesen, schreiben, telefonieren, fotografieren und filmen können, ich möchte auch jederzeit und überall Zugriff auf alle Inhalte und Funktionen haben. Ich möchte nicht vorher überlegen müssen, welche Romane, Reiseführer, Musiktitel oder Büroakten ich mit in den nächsten Urlaub nehme oder auf der nächsten Zugfahrt nutzen möchte, das weiß ich vorher nicht. Und ich möchte einen Brief oder ein Arbeitsdokument, das ich zu Hause am PC begonnen habe, unterwegs im Zug oder im Hotel auf dem Tablet fortführen können, genau an der Stelle, an der ich unterbrechen musste. Und ich möchte mich nicht mit unterschiedlichsten Bestell- und Download-Prozessen in diversen Shops auf diversen Plattformen herumschlagen müssen, wenn ich für die Bearbeitung meines Briefes oder Arbeitsdokuments eben mal schnell in Büchern oder Zeitschriften recherchieren muss. Technologisch ist das heute kein Problem mehr, die Lösung heißt Cloud-Computing, aber praktisch für normale Menschen noch beinahe unerreichbar. Das muss und kann viel einfacher gehen. Ich möchte nur überlegen müssen: nehme ich nur einen kleinen „Bildschirm“ (Smartphone) oder auch einen Größeren (Tablet) mit.

An diesem Punkt kommen die noch fehlenden preisgünstigen Online-Flatrates der Internetprovider ins Blickfeld. Doch diese werden kommen, über kurz oder lang. Die Produktentwickler in den Verlagen können sich daher schon auf den Weg machen, ihr bisheriges, von der Granulierung der Printwelt geprägtes digitales Weltbild vom eBook und eMagazin-Denken auf ein Online-Denken auszuweiten. Alle Titel, alle Inhalte, in einer einzigen großen Online-Datenbank, jederzeit aktualisierbar, beliebig granulierbar. Bisher ist das Produkt-Denken noch immer gefangen in den körperlichen Kategorien und Granulierungen der Print-Angebote: ein Titel, ein eBook, eine App, ein Preis, Crossmedia-Plattform-Denken eben, mit all den komplexen und systemspezifischen  Produktions- und Auslieferungsprozessen für die unterschiedlichen Geräte und Betriebssysteme.

Es kann nicht sein, dass die konkurrierenden Techniksysteme das digitale Verlegen auch weiterhin zu einer Technikwissenschaft machen. Mit dem Übergang zum Cloud-Computing können sich die Verlage von der technischen Komplexität lösen. Der Zugang zu den Inhalten erfolgt dann über die Internet-Browser. Ein Gateway für alle Inhalte. Dann können sich die Verleger wieder auf das Verlegen konzentrieren, darauf konzentrieren, das Verlegen mit den Möglichkeiten der „Cloud“ neu zu erfinden. Dies heißt vor allem, sich bei den Angebots-modellen von der traditionellen Granulierung des bisherigen Print- und Crossmedia-Portfolios zu lösen und zu produkt-übergreifenden Zugangs- und Nutzungsmodellen überzugehen.  Wertvoll ist, was ich nutzen kann, nicht was ich „nur“ besitze.

Für alle Titel ist also künftig zu prüfen: Genügt eine eBook-/eMagazin-Ausgabe für das Tablet (und auf welcher oder welchen Betriebssystemplattformen muss diese laufen) oder fahre ich besser, wenn ich gleich auf eine reine Online-Lösung baue. Diese Entscheidung kann heute noch nicht pauschalierend getroffen werden, sondern muss marktsegment-spezifisch bewertet werden.

Ein Problem allerdings besteht. Die Online-Lösung wird nur funktionieren, wenn der Kunde Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Online-Zugangs hat. Bei den kostenlosen, beliebig austauschbaren Inhalten im Internet haben wir dieses Vertrauen bereits, es ist uns nur nicht bewusst. Denn wenn der Zugang mal nicht funktioniert, auch egal, Morgen geht es schon wieder. Bei Bezahlinhalten, bei Inhalten, wo der jederzeitige Zugang kaufentscheidend wichtig ist, ist dies jedoch anders. Etwas, was ich auf meinen PC oder mein Tablet heruntergeladen habe, gehört mir, ist mein Besitz, ich habe jederzeit die Kontrolle darüber. Bei Inhalten, die auf fremden Servern irgendwo im Internet liegen, ist das anders. Da bin ich 100ig abhängig davon, dass ich eben jederzeit Zugang zu meinen Inhalten erhalte, also den Inhalten, zu denen ich Zugriffsrechte erworben habe. Dies ist ein neues Paradigma, Zugang (zur Nutzung) statt Besitz (Eigentum). Damit dies im Breitenmarkt Fuß fassen kann,  müssen sich zwei Kundenversprechen verbinden: einerseits das Inhalts-Markenversprechen (Qualität des Inhalts) und das Zugangs-Markenversprechen (Zuverlässigkeit des jederzeitigen Zugangs). Dies entsteht nicht von alleine. Hier gibt es viel zu tun. Dies hat erhebliche Folgen für die Markenführung. Dazu mehr in späteren Blockeinträgen.

Mittwoch, 22. August 2012

Neue Innovations-Strategien im Crossmedia-Zeitalter?

Gelten heute, im Zeitalter des digitalen Umbruchs, neue Regeln für Innovation? Die Antwort hängt von Ihrem Verständnis des Begriffs Innovation ab. Wenn Sie von einem abstrakten, methodenorientierten Innovationsbegriff ausgehen, lautet die Antwort nein. Wenn Sie von Ihrem konkreten Produkt ausgehen, lautet die Antwort ja.
Der Medienwandel zwingt die Verlage zu einer Multi-Plattform-Strategie. Das heißt, sie müssen ihre Inhalte im Regelfall auf allen Plattformen (Print, digital, mobil) anbieten. Die technische Komplexität und die schnelle technische Weiterentwicklung erfordern Spezialwissen, dass kleine Verlage nicht wirtschaftlich vorhalten können. Die Folge: Die kleinen Verlage werden die Produktion Ihres Print-Programms weiterhin selbst organisieren, werden jedoch bei den digitalen Formaten die Skaleneffekte im Produktions- und im Vertriebsbereich der digitalen Plattformführer nutzen (müssen).
Die strategisch richtige Auswahl der technischen Plattform(en) und Kooperationspartner wird in den nächsten Jahren ein erster zentraler Erfolgsfaktor werden. Bei reichweitenstraken Mainstreamthemen werden die Inhalte auf allen gängigen Plattformen angeboten, bei spitzen Nischenthemen wird man sich aus wirtschafltichen Gründen auf eine Plattform beschränken müssen. Dies behindert in den nächsten Jahren noch den digitalen Marktaufbau, vor allem auf der Tablet-Plattform. Die voranschreitende technische Konvergenz (der Formate und Lösungen auf der Software- wie Hardware-Seite) und die Verbreitung des Cloud-Computing arbeiteen jedoch den kleinen Verlagen in die Hände. Es lohnt sich daher, bereits jetzt entsprechende Entwicklungsprojekte zu konzipieren, um just-in-time im Markt präsent zu sein.
Damit einher geht der strukturelle Umbau der Wertschöpfungs- und Prozesskette. Nicht alle Inhalte werden auf allen Plattformen nachgefragt und genutzt werden. Zu erkennen, welche Inhalte auf welchen Plattformen und in welchen plattformspezifischen Veredelungen gefragt sind, wird ein zweiter kritischer Erfolgsfaktor werden.
Beide Entwickungen führen dazu, dass die Verlage sich künftig wieder weit stärker auf die kundenspezifische Inhaltskompetenz konzentrieren werden und müssen. Welche Kunden benötigen in welchen Berufs- und Alltagsituationen welche Inhalte auf welcher Plattform und Veredelungsform?
In der Vergangenheit, in der Printwelt, war dies einfach. Welche Inhalte auf welchen "Print-Plattformen" verlegt werden, war Lesern wie Verlagen praktisch über die verschiedenen Mediengattungen Zeitung, Zeitschrift und Buch vorgegeben. Durch die technisch möglich gewordene digitale Konvergenz dieser Gattungen respektive unterschiedlichen Informtionsarten, eröffnen sich viele neu-artige Möglichkeiten, Informationen an die Kunden-Informationsprozesse anzupassen.
Diese Metaentwicklung aufzugreifen erfordert jedoch eine neue Art der Organisation von Innovation, Jahrzehntelang waren die klassischen Ressorts und Stellenkonzepte der Verlage mit der Erstellung der Inhalte für fixe, vorgegebene Inhalts-Trägerplattformen (Zeitung, Zeitschrift, Buch) und fixe Zielgruppenkategorien betraut. Inhalt(sart) und Plattform waren eine Denkeinheit. Die neuen digitalen Trägerplattformen und Access-Konzepte lösen dieses Paradigma noch langsam aber stetig auf. Sie erfordern eine neue organisatorische Herangehensweise, eine Art learing innovation im Sinne der Learning Organization (Chris Argyris,1999) in direkter Verbindung mit dem Kunden und dessen sich stetig wandelnden Kommunikations-, Informations- und Interaktionstools.

Donnerstag, 5. April 2012

These 10: Innovationsmanagement im Crossmedia-Zeitalter

Gelten heute, im Zeitalter des digitalen Umbruchs, neue Regeln für Innovation? Die Antwort hängt von Ihrem Verständnis des Begriffs Innovation ab. Geht man von einem allgemeinen, methodenorientierten Innovationsbegriff aus, lautet die Antwort: Nein. Und, zweite Frage,  kann der Suchraum  und damit der Zeitaufwand und die Kosten für Innovationen aufgrund des Metatrends digitaler Medienwandel eingegrenzt werden? Unterstellt man die Richtigkeit der vorgenannten Thesen 1-9, lautet die Antwort: Ja.

Der Medienwandel zwingt die Verlage zu einer Multi-Plattform-Strategie. Das heißt, sie müssen ihre Inhalte im Regelfall auf allen Plattformen anbieten. Die technische Komplexität und Vielfalt dieser erfordern Spezialwissen, dass kleine Verlage nicht vorhalten können. Die Folge: Die Verlage werden ihre Inhalte weiterhin selbst auf die Print-Plattform stellen, jedoch bei den digitalen Formaten die immensen Skaleneffekte im Produktions- und Vertriebsbereich der digitalen Plattformführer nutzen. Sie werden, je nach Einzelsituation, ihre Inhalte exklusiv über eine Plattform oder über viele Plattformen anbieten.

Damit einher geht ein sukzessiver struktureller Umbau ihrer Wertschöpfungs- und Prozesskette. Nicht alle Inhalte werden auf allen Plattformen gleich intensiv nachgefragt und genutzt werden. Zu erkennen, welche Inhalte auf welchen Plattformen und in welchen plattformspezifischen Veredelungen gefragt werden, wird neben der Inhaltserstellung originäre verlegerische Kernkompetenz werden. Die nachgelagerte technische Produktion und teilweise auch die Vermarktung wird von den Plattformführern übernommen werden.

Die führt dazu, dass die Verlage sich weit stärker als in der Vergangenheit auf die Inhaltskompetenz konzentrieren müssen. Welche Kunden benötigen in welchen typischen Berufs- und Alltagsituationen welche Informationen und Inhalte, dies im Extremfall heruntergebrochen bis zum individuellen Kunden. Das micro-targeting wird den Weg zur individuellen just-in-time Information zeigen. Die Technologien hierzu werden derzeit von den Social-Media-Plattformen getrieben, das Übertragen auf professionelle Inhaltsangebote für professionell definierte Zielgruppenwird wird den Verleger von Morgen auszeichnen.

Diese Metaentwicklung auf-zu-greifen erfordert jedoch eine neue Art der Organisation von Innovation, erfordert ein neues Innovations-Management. Jahrzehntelang waren die klassischen Ressorts und Stellenkonzepte  der Verlage mit der Erstellung der Inhalte für fixe, vorgegebene Inhalts-Trägerplattformen (Zeitung, Zeitschrift, Buch) und fixe Zielgruppenkategorien betraut. Inhalt und Plattform waren eine Denkeinheit. Die neuen Trägerplattformen und Access-Konzepte lösen dieses Paradigma langsam aber stetig auf. Sie erfordern eine neue organisatorische Herangehensweise, eine Art learing innovation  im Sinne der Learning Organization (Chris Argyris,1999) in Verbindung mit dem neuen Ansatz  der open innovation. Einige weiterführende Gedanken hierzu finden Sie auf meiner Homepage und in späteren Beiträgen auch auf diesem Blog.