In Folge 2 möchte ich jetzt fragen, inwieweit wir mit umsatz-bezogenen Kennzahlen erkennen
können, ob sich Märkte grundlegend ändern und ab wann wir reagieren müssen.
Umsatzbezogene Daten haben einen großen Vorteil: Sie sind so gut wie immer
verfügbar oder mit geringem Aufwand zu erstellen.
Das wichtigste operative Controlling-Ritual ist der
monatliche Umsatz-Soll-Ist-Vergleich, ergänzt um den Vorjahresvergleich. Damit
kann monatlich erkannt werden, ob der Umsatz im geplanten Korridor liegt. Die monatlichen Zahlen schwanken jedoch häufig
mehr oder weniger zufällig um die (meist linear nivellierten) Planwerte.
Häufig kann man bei größeren Abweichungen die Ursachen schnell erkennen, zum
Beispiel verzögerte Auslieferung, verschobene Vertriebsaktionen, stornierter
Großauftrag etc. und mit (zusätzlichen) operativen Maßnahmen auf der Produkt-
oder Vertriebsebene dagegen steuern. Damit ist aber noch nichts gesagt über
längerfristige Marktveränderungen. Wie kann man nun erkennen, ob die Schwankungen, egal ob monatlich oder über mehrere Jahre, einen generellen Marktwandel anzeigen oder nur das Auf und Ab des üblichen Wettbewerbs sind? Und wann ist der richtige Zeitpunkt, das aktuelle Produktportfolio oder Geschäftsmodell grundlegend zu innovieren? Wann muß ich zum Beispiel von Print auf Digital wechseln, in welcher Form, in welche Ausprägung oder muß ich gar nicht, obwohl der Wettbewerb dies bereits tut?
Grundlegende Veränderungen verlaufen fast immer in der Form einer S-Kurve. Dies bedeutet, dass zu Beginn nur wenige Kunden mit dem bisherigen Produkt unzufrieden werden und abwandern, sobald eine neuartige und ausreichend gute Alternative im Markt erhältlich ist. Der flache Beginn der S-Kurve ist oftmals deutlich länger als die zweite Phase, wenn die Veränderungsgeschwindigkeit exponentiell zu steigen beginnt. Spätestens in dieser Phase droht jedoch die Gefahr, auch für anerkannte Produkt-Marken, ins Abseits zugeraten. Haben sich zu dieser Phase neue Wettbewerber-Marken etabliert, kann dies zu dauerhaften Marktverschiebungen führen.
Zwei Beispiele möchte ich
anführen. Einmal die Anzeigenrubriken in den Tageszeitungen und die Loseblatt-Rechtsprechungssammlungen
der Juristen. Beide wurden etwa zeitgleich im Verlaufe nur eines Jahrzehnts,
etwa von 2000 bis 2010, vollständig von der Papier-Plattform auf die Digital-Plattform
verdrängt. In beiden Fällen sind durch diesen Medienplattform-Wandel neue
Produktmarken von bisher branchenfremden Anbietern im Markt entstanden, wodurch
dauerhaft Marktanteile verloren wurden. In beiden Beispielen haben die
betroffenen Verlage den Wandel kommen sehen, sich jedoch vom flachen
Beginn der S-Kurve zu lange täuschen lassen.
Das heißt, wir benötigen
Kennzahlen die anzeigen, wann der flache, langsame Veränderungsverlauf zu
steigen beginnt, denn dies ist der späteste Zeitpunkt, an dem sie reagieren müssen. Dies ist, wie ausgeführt, aufgrund der „normalen“ Schwankungen
des traditionellen Geschäfts nicht einfach zu erkennen. Steigt zum Beispiel bei
einem Fachbuchverlag der Printumsatz aufgrund eines oder mehrerer zufälliger
Bestseller stark an, verwischt dieses den Wendepunkt vom flachen zum steilen
Verlauf. Das heißt, auch ein mehrjähriger Vergleich von aggregierten Umsätzen
mit den Vorjahren alleine reicht nicht aus, obwohl zufällige Schwankungen dadurch leichter
nivelliert werden, da hier fast immer Preiserhöhungen,
Portfoliobereinigungen u.a. Effekte „versteckt“ sind. Gerade Preiserhöhungen
haben in den letzten Jahren das „wahre“ Ausmaß des Medienwandels in vielen
Marktsegmenten lange verschleiert. Wir benötigen deshalb Umsatz-Kennzahlen, die
diese Verzerrungen vermeiden. Folgende bieten sich an:
1.
Durchschnitts-Umsatz je Produkt und
Produktkategorie
2.
Durchschnitts-Verkäufe je Produkt und
Produktkategorie
3.
Durchschnitts-Umsatz je Kunde und Kundengruppe
4.
Durchschnitts-Verkäufe je Kunde und Kundengruppe
Ad. 1: Beim Durchschnitts-Umsatz je Produkt über mehrjährige Zeitreihen sollte
man unbedingt zwei Effekte herausrechnen: Preiserhöhungen und
Preisinflation. Ein sinkender/steigender Wert kann dann bedeuten: Das
Produktportfolio hat sich in Richtung niedrig-/höher-preisiger Produkte
verschoben. Das heißt, die Kennzahl muß bei Verlagen mit einem heterogenen
Produktportfolio differenziert werden nach Produktkategorie und
Produkt-Marktsegment. Innerhalb eines homogenen Segments kann ein über mehrere
Jahre zurückgehender Preis einen höheren Wettbewerbsdruck anzeigen: Einerseits
durch traditionelle (und bessere) Wettbewerberprodukte, andererseits auch durch
neuartige Wettbewerbsprodukte, die bereits beginnen
einen grundlegenden Marktwandel einzuleiten. Bei einem gestiegenen Wert sollte
man sich aber nicht in „Sicherheit“ wähnen. Dieser kann Ausdruck eines
schwächer gewordenen Wettbewerberumfelds sein oder in der Vergangenheit nicht ausgeschöpfter
Preiselastizität. Dies erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, daß die Kunden sich
aktiv nach preisgünstigeren Alternativen umsehen und bereit sind neuartige Produktansätze
von neuen, auch unbekannten Wettbewerbern auszuprobieren,
selbst wenn diese noch nicht so „gut“ sind, wie die etablierten Marken.
Ad. 2: In jedem Fall ist der parallele Blick auf die Durchschnitts-Verkäufe je
Produkt (brutto und netto) wichtig. Sind die Verkäufe zurückgegangen bei
steigenden Preisen, kann dies bedeuten, dass das Pricing überzogen wurde und evtl.
korrigiert werden muss. Ist der Rückgang bei stabilen oder niedrigeren Preisen
erfolgt, kann dies eine strukturelle Vertriebsschwäche sichtbar machen oder,
dies gilt es zu erkennen, einen schleichenden strukturellen Marktwandel. Wichtig
ist die Unterscheidung in Brutto- und Netto-Verkäufe (Verkäufe nach Remissionen). Steigen
die Remissionen über mehrere Perioden hinweg, obwohl der Vertriebsdruck nicht
erhöht worden ist und ausgeschlossen werden kann, daß an eine Nebenzielgruppe
oder gar falsche Zielgruppe verkauft worden ist, ist vermutlich der Nutzenwert
der Produkte für die Zielgruppe zurück gegangen. Dann ist sofort zu klären,
weshalb und ob dies noch durch traditionelle Produktverbesserungen heilbar
ist. Verfälscht werden können diese Daten und Interpretationen durch sinkende
oder steigende Zielgruppenzahlen. Verringert sich die Zielgruppe, zum Beispiel aus demografischen Gründen, wie dies derzeit in
vielen Verlagsmärkten der Fall ist, sinken natürlich auch die Verkäufe, auch
wenn sie alles richtig gemacht haben.
Ad. 3 und 4: Deshalb sind diese Daten zusätzlich zu vergleichen mit dem Durchschnitts-Umsatz und Durchschnittsverkäufen
je Kunde und/oder Kundengruppe. Sinkt der Umsatz, weil weniger Stück verkauft wurden, obwohl der Vertrieb alles richtig gemacht hat, ist dies ein Hinweis auf stärker gewordene traditionelle Wettbewerber
(bessere Qualität oder besseres Preis-Leistungsangebot) oder, falls dies
ausgeschlossen werden kann, auf eine grundlegende Marktverschiebung aufgrund
neu-artiger, heute in aller Regel digitaler Produktmodelle. Diese vier Kennzahlen sollten immer gemeinsam betrachtet und interpretiert werden. Sinnvoll ist, sie auch als prozentuale Veränderungen darzustellen. Wenn, allgemein gesagt, über mehrere Zeitperioden hinweg, das Verkaufen schwieriger und teurer geworden ist, und nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei den direkten Wettbewerbern, spätestens dann sollten sie unverzüglich durch qualitative Kundenbefragungen in der Kernzielgruppe nach Ursachen forschen. Die kritische Frage ist immer: kann das traditionelle Produktkonzept noch (wirtschaftlich) durch weitere Verbesserungen fit gemacht werden oder muß jetzt der Umstieg auf einen neu-artigen Produktansatz gestartet werden.
Um vorschnelle Fehlinterpretationen durch betriebsinterne Ursachen und Sondereffekte zu vermeiden sollten Sie allerdings weitere Kennzahlen zu Rate ziehen. Als zweite Gruppe werde ich in Folge 3 daher auf Kosten-Kennzahlen eingehen.