Und können sie sich vorstellen, dass heute, also Oktober
2012, jeder Lehrer und Schüler intuitiv ein sogenanntes Whiteboard samt
der zugehörigen proprietären Lehrmittel-Software bedienen kann? Schwierig. Und
können sie sich vorstellen, dass noch im nächsten Jahr, also in 2013, alle unsere
Behörden entscheiden, dass alle Klassenzimmer innerhalb von sagen wir mal acht
Jahren mit einem Whiteboard ausgerüstet werden und die gute alte Kreidetafel
aus dem Klassenzimmer verbannt wird? Noch schwieriger.
Wagen wir einen Zeitsprung von acht Jahren. Ich bin überzeugt, dass
auch in 2020 die Mehrzahl aller staatlichen Schulen in diesem Lande
mit der guten alten Kreidetafel arbeiten, ein großer Teil der Schüler weiterhin
bis zu 10 Schulbücher pro Tag in die Schule schleppen und die Hälfte aller
Lehrer weiterhin damit einen guten Unterricht machen werden. Doch was machen
die anderen? Die anderen, Schüler oder Lehrer, ganz egal, haben ihr persönliches Tablet auf der Schulbank liegen und schlagen damit online,
nicht offline, auf die gleichen Inhalte zu, wie der Banknachbar, der das
Print-Buch aufschlägt. Da Print-Titel und Online-Titel identisch sind, können
Schüler wie Lehrer, entweder mit Print oder Tablet arbeiten, beliebig gemischt.
Es gibt keinen Zwang,
dass alle Schüler oder alle Lehrer mit dem Tablet arbeiten müssen oder alle mit
Print arbeiten müssen. Und es gibt keinen Zwang, dass alle Schulen und alle
Klassenzimmer gleichzeitig mit digitaler Technik hochgerüstet werden müssen,
alle Lehrer von der Kreidetafel zum Whiteboard wechseln müssen. Tablet-Buch und
Print-Buch arbeiten harmonisch zusammen, Hand in Hand. Nicht nur Schüler und
Lehrer, auch die Schulen können das Tempo des Medienwandels ihrer persönlichen
Situation anpassen.
Klar sind aus Sicht der
Schüler die Tablet-Schüler eindeutig im Vorteil und werden von den (Papier-)Buch-Schülern
beneidet. Es wird also gar nicht lange dauern, bis alle Schüler ihr persönliches Tablet haben. Denn die (Online-)Tablets
sind nicht nur cool, sie können auch viel mehr, als die Print-Bücher. Und immer
mehr Lehrer helfen den Schülern dieses Mehr
für die Entwicklung ihrer individuellen
Leistungspotenziale zu erschließen. Und immer mehr private
Nachhilfe-Dienstleister werden sich online an die behördlich zugelassenen
(digitalen) Bücher mit ihren Erweiterungen andocken.
Doch ganz besonders cool wird
sein, die Bildungspolitiker wird dies freuen, dass die Schulen respektive die
Sachaufwandsträger keinerlei zusätzlichen Kosten aufwenden müssen. Ihr Tablet
nennen die Schüler in 2020 so selbstverständlich ihr Eigen, wie heute ihre
Handys. Und niemand hindert die Schulen, zusätzlich in hight-tech Cyberrooms zu
investieren, wenn denn das Geld und die Überzeugung dazu vorhanden sind. Und
ebenso cool wird sein, dass auch die Schulbuchverlage signifikant Kosten sparen
könnten. Wie andere Fachverlage auch, werden die Schulbuchverlage erkennen,
dass ihre Kernleistung in den Inhalts-Marken liegt und nicht in der Online-Technik.
Muss den jeder Verlag seine eigene Online-Datenbank aufbauen? Könnten die Verlage
nicht sagen, unsere Inhalts-Marken stehen im Wettbewerb, aber bei der
Online-Technik, da nützen wir die Skalierungseffekte durch ein gemeinsames
Vorgehen.
Alles es nur Visionen? Wer ist eigentlich dafür verantwortlich, was im Jahr
2020 in den Klassenzimmern unserer Schulen passiert oder nicht passiert, dafür
verantwortlich, dass mit Hilfe neuer Technologien ein besserer Unterricht erfolgen kann? Die Lehrer, die Schüler, die
Eltern, die Behörden, die Wissenschaft, die Politik, die Schulverlage? Apple,
Microsoft, Google? Alle zusammen? Niemand, also der Markt?
Beispiel Südkorea. Hier fühlen sich die Behörden verantwortlich, dass
bereits ab 2015 der Unterricht an allen staatlichen Schulen zu 100% digital
erfolgen wird. Auch hierzulande gibt es vielerorts lokale Initiativen, die
Klassenzimmer mit digitaler Technik zum Cyberroom hochzurüsten. Ist das gut,
fortschrittlich? Lernen unsere Kinder dann automatisch besser? Und wer soll das
bezahlen, die Eltern, der Steuerzahler, … ? Und was soll aus den gedruckten
Büchern werden? Darf das Kulturgut (gedrucktes) Buch überhaupt aus den Schulen verschwinden?
Viele Fragen.
In Gesprächen haben mir einige Behördenvertreter gesagt, Lehrmittel,
also auch digitale Lehrmittel, das sei Aufgabe des Marktes, da sind wir nicht
zuständig. Und die Schulbuchverlage sagen mir, wir sind kundenorientiert. Wir verlegen, was die Kunden haben möchten. Nur
dann sind wir wirtschaftlich erfolgreich. Wirklich? Wusste 2007 nur Apple, was
die Handy-Kunden wollten und alle anderen Handy-Hersteller nicht? Wie sagte
schon Henry Ford vor über 100 Jahren. Hätte ich die Kunden gefragt, was sie
haben wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde. Wissen die Schüler, die
Eltern, die Lehrer, die Schulbürokratie welche Art von Unterrichtskonzepten im
nächsten Jahr und in 2020 mit dem Stand der Technik möglich ist? Also nochmal,
wer ist verantwortlich für das Klassenzimmer im Jahr 2020? Wer nimmt das Heft in die Hand und marschiert
voraus? Sie?