Freitag, 21. September 2012

Strategische Kennzahlen für Fachverlage und Fachmedien

Im Blogeintrag  „Strategisches Controlling“  habe ich argumentiert, dass das operative Controlling lediglich aufzeigt, wie gut ein Verlag seine geplanten Ziele im laufenden Geschäftsjahr erreicht. Es macht keine Aussage darüber, wie anspruchsvoll oder einfach die Planung selbst war. Es ist eine Sache, bei einem anspruchsvollen Plan unter Plan abzuschneiden, oder bei einem „leichten“ Plan, über Plan abzuschneiden.  Dabei ist es egal, ob die zu anspruchsvolle oder zu leichte Planung aus taktischer Absicht oder aus falscher Markteinschätzungen erfolgte. Das Ergebnis ist immer gleich, nämlich eine nicht an den tatsächlichen Marktchancen orientierte Unternehmensentwicklung.

Erst in Verbindung mit einem strategischen Controlling, kann die Leistung „von außen“, unter Bezug auf die Strukturdaten des Marktumfeldes bewertet werden. Die Zielsetzung ist klar: Geschäftsführung und Eigentümer müssen beurteilen können, ob die Verlagsentwicklung, Planerfüllung hin oder her, in Bezug zum Gesamtmarkt eine Stärkung oder Schwächung der Marktstellung  darstellt.

Seit gut zehn Jahren befinden sich die Verlage  in einem nachhaltigen Strukturwandel. Die Metatrends Digitalisierung und Medienwandel  führen zu einem kontinuierlichen Rückgang der Printverkäufe und Printumsätze  einerseits und zu einem stetigen Wachstum der digitalen Produktangebote.  Ausmaß und Tempo der Veränderung variieren jedoch erheblich, je nach Medienkategorie und Marktsegment, und unterliegen immer wieder neuen Impulsen aufgrund neuer technischer Innovationen. So ist jetzt aktuell zum Beispiel davon auszugehen, dass mit dem Verschmelzen der PC- und Tablet-Betriebssysteme (Stichwort Windows 8 und Android  4) und der neuen darauf aufbauenden Tablet-PC-Geräte-Generation dem eBook ein zweiter und deutlich stärkerer Wachstumsschub verliehen wird, der endgültig dafür sorgen wird, dass der bisher marginale einstellige eBook-Marktanteil innerhalb der nächsten Jahre auch hierzulande zweistellig werden wird.  
 
Schwierig abzuschätzen bleibt hierbei u.a.,  ob sich die Printverkäufe 1:1 in digitale Verkäufe verschieben oder die eBook-Verkäufe stärker zunehmen als die Print-Verkäufe zurückgehen oder in welchen Segmenten z.B. Hybrid-Pakete die beste Angebotsform sind, um neue Marktanteile über den Medienwandel zu gewinnen oder zumindest bestehende zu halten. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Entwicklungen, selbst innerhalb der gleichen Marktsegmente, war in der Vergangenheit zu beobachten, was die „richtigen“ Prognosen zur Marktentwicklung weiterhin erschwert. Selbst Aussagen darüber, ob der Gesamtmarkt aus Print und Digital zusammen, weiter wachsen oder sinken wird sind heute mit einem Fragezeichen zu versehen. Probieren geht über Studieren lautete daher die Devise.

Eine Hilfestellung gibt es jedoch, die zu wenig genutzt wird.Die kybernetische Systemanalyse  hat seit vielen Jahren die Dynamik von Veränderungsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft erforscht. Ergebnis: Veränderungen erfolgen praktisch ausnahmslos dem Muster einer S-Kurve. Die Veränderungsrate verläuft zunächst sehr langsam,  beschleunigt sich dann exponentiell, erreicht den Wendepunkt und verlangsamt sich dann bis zum Sättigungspunkt.

Der konkrete Verlauf der s-förmigen Veränderungskurve verläuft in jedem Marktsegment unterschiedlich. Diesen konkreten Verlauf im eigenen Marktsegment sichtbar zu vermachen und bezogen auf die konkreten Veränderungs-kräfte zu verstehen, ist Aufgabe der kritischen Erfolgsfaktoren und der strategischen Kennzahlen. Im Dataware-House der Verlage liegen meist weit mehr Daten, als den Verlagen bewusst ist und die sie demzufolge eben auch nicht nutzen.

Ein einfacher Ansatz um die Entwicklung der nächsten 5 Jahre zu schätzen ist, sich die Entwicklung der letzten 10  Jahre vor Augen zu halten. Durch den Blick zurück erkennen Sie  das Muster Ihres bisherigen Kurvenverlaufs und können, je nach derzeitiger Lage auf der S-Kurve, den weiteren Verlauf deutlich besser abschätzen. Durch den langen Zeitraum sind „Verzerrungen“ durch auf Jahresebene wirkende Einzelmaßnahmen oder Sondereffekte leichter erkennbar. Im zweiten Schritt schätzen Sie mit Hilfe Ihrer spezifischen Kundenkenntnisse ab, inwieweit  durch in den nächsten Jahren bevorstehende technische Innovationen, zum Beispiel Windows 8, Tablet-PC-Entwicklung, Cloud-Computing, u.a. sich die Arbeits- und Informationsprozesse Ihrer Kunden und Zielgruppen verändern werden und in Folge dessen sich Ihre Verlagsangebote strukturell anpassen müssen.

Welche Kennzahlen in diesem Sinne strategische Bedeutung haben  ist abhängig vom jeweiligen Marktsegment und den konkreten strategischen Zielen. Für den typischen Buch- und Zeitschriftenverlag  sollten jedoch folgende fünf Kennzahlen stets zum Pflichtprogramm gehören:
 
1.         Marktanteilsquote nach Kunden: Diese spiegelt die Attraktivität und den Nutzen Ihres Gesamtportfolios. Sinkende Kundenzahlen sind ein Indikator für eine schleichend  abnehmende Nutzenattraktivität des Portfolios, falsches Pricing oder Defizite in der Vertriebsarbeit. Differenziert nach Print- und Digital-Produkten spiegelt sie den Medienwandel in Ihrem Marktsegment wieder.

2.         Verkaufsquote je Kunde über alle Produkte, differenziert nach Produktkategorien sowie Print und Digital: Steigende Verkaufszahlen je Kunde deuten darauf hin, dass das Portfolio die Informationswünsche der Kunden besser und breiter (thematisch und/oder formatmäßig) erfüllt. Wichtig ist, Veränderungen und Verschiebungen innerhalb der einzelnen Produkt- und Themensegmente zu erkennen, weshalb diese Quote differenziert gemessen werden muss. Sinkende Verkäufe, bei gleichbleibender thematischer Aktualität,  sind ein Indikator für falsche/fehlende  Themen oder falsche/fehlende  Produktformate. Auch hier werden Sie Ihren verlags-spezifischen Medienwandel erkennen und mit der Gesamtmarktentwicklung vergleichen können.

3.         Durchschnittspreis:  Die Entwicklung des Durchschnittspreises über alle Produkte und differenziert nach Produktformen (Buch, Zeitschrift, eBook etc.) ist ebenfalls ein guter Indikator für die Marktstärke des Portfolios.  Ein steigender Durchschnittspreis bei gleichbleibenden oder steigenden Verkäufen weist darauf hin, dass das bisherige Pricing Luft nach oben hatte. Wichtig ist, die Preisentwicklung auch inflationsbereinigt zu analysieren. Kennzeichnend für die letzten zehn Jahre ist für viele Marktsegmente, dass der Umsatz dank höherer Preise gehalten werden konnte, die Verkäufe und Auflagen jedoch absolut zurückgingen. Auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf strukturelle Marktverschiebungen.

4.         Durchschnittsauflage: Eine über die Jahre hinweg sinkende oder steigende Auflage spiegelt ebenfalls die Nutzenattraktivität und verschlechtert oder verbessert in der Regel direkt die Ergebnissituation. Auch hier kann die Differenzierung nach Print und Digital u.a. die fortschreitende Medienverschiebung sichtbar machen und einen Hinweis auf das künftige Veränderungstempo geben.

5.         Durchschnittskosten je Produkt (Stückkosten): Diese Zahl ist direkt von der Durchschnittsauflage abhängig.  Zurückgehende Auflagen bedeuten in der Regel steigende Stückkosten und verschlechtern das Verlagsergebnis strukturell. Auch hier empfiehlt sich die Differenzierung nach Produktgruppen. In Verbindung mit Portfolioanalysen können dann gezielt Programmbereinigungen und deren Auswirkungen auf das Verlagsergebnis berechnet werden.

Bereits mit Hilfe dieser fünf Kennzahlen können Sie, unabhängig von der operativen Bottom-up-Planung der einzelnen Bereichsleiter, die Prognosen für das Jahresendergebnis und für den Geschäftsplan des nächsten Jahres auf Plausibilität prüfen.  Und gerade vor dem Hintergrund, dass die Schnelligkeit von strukturellen Veränderungen fast immer überschätzt und das Ausmaß dagegen häufig unterschätzt wird, können die richtigen Kennzahlen zu  besseren 5-Jahres-Prognosen führen. Diese Kennzahlen lassen sich auf einer einzigen Seite darstellen. Damit sehen Topmanagement und Aufsichtsrat auf einen Blick, wie sich die Performance des Verlages entwickelt und können bei Bedarf gezielt intervenieren. Durch die Kommentierungspflicht der Kennzahlen durch die Bereichsleiter, parallel zum monatlichen operativen Reporting, verbessert sich kontinuierlich das Wissen über die Wirkungsmechanik und die Entwicklungsdynamik Ihres Marktsegments. Letztendlich können Sie das System Schritt für Schritt zu einer rollierenden 5-Jahresplanung weiterentwickeln und so die mittelfristige Unternehmensentwicklung schneller an die Veränderungsdynamik des Marktes anpassen.

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