Freitag, 7. September 2012

Windows 8 alleine reicht noch nicht: Der digitale Kunde will alles

Ende Oktober ist es soweit, ein neuer Meilenstein auf dem langen Weg des digitalen Medienwandels, Steve Ballmer spricht gar von der wichtigsten Innovation seit 17 Jahren, seit Einführung von Windows 95, steht bevor. Ich meine, Steve Ballmer hat recht.

Windows 8 wird den Medienwandel von Print zur digitalen Lese- und Nutzungsplattform deutlich beschleunigen.  Durch das Verschmelzen der bisher getrennten Betriebssysteme für PC und Tablets wird das Tablet vor allem im Buch- und Zeitschriftenbereich viele Leser von den Print-Ausgaben zu den Tablet-Ausgaben ziehen. Eile ist daher geboten, für alle Titel, die noch keine Tablet-Ausgabe besitzen. Doch die Folgen gehen viel weiter.

Ich möchte als mobiler Alltagsmensch jederzeit, an jedem Ort lesen, schreiben, telefonieren, fotografieren und filmen können und ich möchte dabei nicht ein Handy und ein Tablet und ein Notebook und einen Fotoapparat und eine Filmkamera mitherumtragen müssen. Ich möchte ein Gerät, das alles kann. Dafür nehme ich für unterwegs einen kleinen Bildschirm in Kauf, zu Hause oder im Büro nutze ich aber gerne den großen Bildschirm eines Notebooks oder eines TV-Geräts oder als ambitionierter Fotograf auch eine extra Foto- oder Filmkamera. Und ich möchte keinesfalls jeweils verschiedene Programme und Applikationen, je nach Geräteart nutzen müssen, das ist mir zu kompliziert. Wenn ich diese vielen schönen Sachen nicht spontan und intuitiv nutzen kann, dann lasse ich es einfach. So wichtig ist es dann meist doch nicht. Deshalb bin ich zur Android-Plattform gewechselt, zumindest auf den mobilen Geräten wie Handy und Tablet, viele andere schon vor Jahren zu iPhone und iPad.

Für Smartphone, eReader, Tablet, Notebook, für jede Geräteklasse eine eigene Anwendung programmieren und dann noch zwischen verschiedenen Datenformaten und DRM-Systemen variieren und dann noch auf  drei  Plattformen, also iOS, Android und Windows 8 anpassen? Technologisch kein Problem, aber organisatorisch und kalkulatorisch, gerade für die kleinen Reichweiten im Markt der Special Interests und Fachinformationen,  ein klares K.O.-Kriterium. Doch es geht auch anders, einfacher, Google hat es mit Android vorgemacht, eine Software-Plattform für alle Geräteklassen, Microsoft hat nun mit Windows 8 nachgezogen, Apple wird in Kürze nachziehen (müssen). Goldene Zeiten also für Verlage und Applikationsentwickler? Endlich nur eine einzige digitale Version entwickeln müssen, die auf allen Geräten und Systemplattformen läuft?

Nein. Es fehlt noch was. Ich möchte als Kunde nicht nur jederzeit und überall lesen, schreiben, telefonieren, fotografieren und filmen können, ich möchte auch jederzeit und überall Zugriff auf alle Inhalte und Funktionen haben. Ich möchte nicht vorher überlegen müssen, welche Romane, Reiseführer, Musiktitel oder Büroakten ich mit in den nächsten Urlaub nehme oder auf der nächsten Zugfahrt nutzen möchte, das weiß ich vorher nicht. Und ich möchte einen Brief oder ein Arbeitsdokument, das ich zu Hause am PC begonnen habe, unterwegs im Zug oder im Hotel auf dem Tablet fortführen können, genau an der Stelle, an der ich unterbrechen musste. Und ich möchte mich nicht mit unterschiedlichsten Bestell- und Download-Prozessen in diversen Shops auf diversen Plattformen herumschlagen müssen, wenn ich für die Bearbeitung meines Briefes oder Arbeitsdokuments eben mal schnell in Büchern oder Zeitschriften recherchieren muss. Technologisch ist das heute kein Problem mehr, die Lösung heißt Cloud-Computing, aber praktisch für normale Menschen noch beinahe unerreichbar. Das muss und kann viel einfacher gehen. Ich möchte nur überlegen müssen: nehme ich nur einen kleinen „Bildschirm“ (Smartphone) oder auch einen Größeren (Tablet) mit.

An diesem Punkt kommen die noch fehlenden preisgünstigen Online-Flatrates der Internetprovider ins Blickfeld. Doch diese werden kommen, über kurz oder lang. Die Produktentwickler in den Verlagen können sich daher schon auf den Weg machen, ihr bisheriges, von der Granulierung der Printwelt geprägtes digitales Weltbild vom eBook und eMagazin-Denken auf ein Online-Denken auszuweiten. Alle Titel, alle Inhalte, in einer einzigen großen Online-Datenbank, jederzeit aktualisierbar, beliebig granulierbar. Bisher ist das Produkt-Denken noch immer gefangen in den körperlichen Kategorien und Granulierungen der Print-Angebote: ein Titel, ein eBook, eine App, ein Preis, Crossmedia-Plattform-Denken eben, mit all den komplexen und systemspezifischen  Produktions- und Auslieferungsprozessen für die unterschiedlichen Geräte und Betriebssysteme.

Es kann nicht sein, dass die konkurrierenden Techniksysteme das digitale Verlegen auch weiterhin zu einer Technikwissenschaft machen. Mit dem Übergang zum Cloud-Computing können sich die Verlage von der technischen Komplexität lösen. Der Zugang zu den Inhalten erfolgt dann über die Internet-Browser. Ein Gateway für alle Inhalte. Dann können sich die Verleger wieder auf das Verlegen konzentrieren, darauf konzentrieren, das Verlegen mit den Möglichkeiten der „Cloud“ neu zu erfinden. Dies heißt vor allem, sich bei den Angebots-modellen von der traditionellen Granulierung des bisherigen Print- und Crossmedia-Portfolios zu lösen und zu produkt-übergreifenden Zugangs- und Nutzungsmodellen überzugehen.  Wertvoll ist, was ich nutzen kann, nicht was ich „nur“ besitze.

Für alle Titel ist also künftig zu prüfen: Genügt eine eBook-/eMagazin-Ausgabe für das Tablet (und auf welcher oder welchen Betriebssystemplattformen muss diese laufen) oder fahre ich besser, wenn ich gleich auf eine reine Online-Lösung baue. Diese Entscheidung kann heute noch nicht pauschalierend getroffen werden, sondern muss marktsegment-spezifisch bewertet werden.

Ein Problem allerdings besteht. Die Online-Lösung wird nur funktionieren, wenn der Kunde Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Online-Zugangs hat. Bei den kostenlosen, beliebig austauschbaren Inhalten im Internet haben wir dieses Vertrauen bereits, es ist uns nur nicht bewusst. Denn wenn der Zugang mal nicht funktioniert, auch egal, Morgen geht es schon wieder. Bei Bezahlinhalten, bei Inhalten, wo der jederzeitige Zugang kaufentscheidend wichtig ist, ist dies jedoch anders. Etwas, was ich auf meinen PC oder mein Tablet heruntergeladen habe, gehört mir, ist mein Besitz, ich habe jederzeit die Kontrolle darüber. Bei Inhalten, die auf fremden Servern irgendwo im Internet liegen, ist das anders. Da bin ich 100ig abhängig davon, dass ich eben jederzeit Zugang zu meinen Inhalten erhalte, also den Inhalten, zu denen ich Zugriffsrechte erworben habe. Dies ist ein neues Paradigma, Zugang (zur Nutzung) statt Besitz (Eigentum). Damit dies im Breitenmarkt Fuß fassen kann,  müssen sich zwei Kundenversprechen verbinden: einerseits das Inhalts-Markenversprechen (Qualität des Inhalts) und das Zugangs-Markenversprechen (Zuverlässigkeit des jederzeitigen Zugangs). Dies entsteht nicht von alleine. Hier gibt es viel zu tun. Dies hat erhebliche Folgen für die Markenführung. Dazu mehr in späteren Blockeinträgen.

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