Mittwoch, 26. Januar 2011

These 9: Everything, everywhere, anytime - Das verlegerische Paradigma des 21. Jahrhunderts

Alles, jederzeit, überall, damit ist der wohl stärkste und nachhaltigste Treiber der Medienentwicklung auf den Punkt gebracht. Die Technologie hierzu ist heute vor-handen, einige zentrale Voraussetzungen, nämlich die Verlinkung und Vernetzung, habe ich in den vorher-gehenden acht Thesen zum Medienwandel beschrieben.

Was noch fehlt, ist die flächendeckende Verbreitung der entsprechenden (Access-) Geräte im Massenmarkt. In längstens 5-10 Jahren werden alle Handys zu Smart-Phones mutieren, werden die Touch-Pads sich zu vollwertigen PCs (ohne Tastatur) entwickeln und die TV-Geräte mit dem Internet verschmelzen.

Die technologische Möglichkeit  des "Alles, jederzeit, überall" wird das verlegerische Erwartungsdenken der Leser, in den Consumermärkten wie in den Fach-Informations-Märkten, nachhaltig und grundlegend verändern. Sie wird das Jahrhunderte alte verlegerische Paradigma der Vorauswahl des Wichtigen für definierte Zielgruppen ablösen. Und sie wird die Art und Weise, wie wir mit Wissen und Informationen umgehen, grundlegend verändern. Die Vorauswahl wird abgelöst durch den Access zum Wichtigen und Relevanten. Die Folgen können nicht überschätzt werden, weder auf der gesellschaftlichen Seite, noch auf der organisations-strukturellen Seite der heutigen Medien- und Verlagslandschaft.

Die Wertschöpfungskette der heutigen Verlage zielt noch immer auf die gesamte Herstellungskette ab, von der Informationserstellung bis zur aktiven (körperlichen oder digitalen) Zustellung an den Leser. Diese Wertkette wird sich aufspalten in zwei Hälften, einerseits in die Hälfte der Inhaltserstellung und in die Hälfte des Zugangs (Access) zu den Inhalten. Macht man sich bewusst, wo in den letzten 10 Jahren neue Medienreichweiten in bislang nicht vorstellbarer Größenordnung entstanden sind, erkennt man unschwer die sogenannten (digitalen) Aggregatoren und Gatekeeper. Die digitale Zugangs-Logistik und Zugangs-Technik kann unabhängig von den digitalen Inhalten entwickelt und weltweit skaliert werden. Diese Technologie ist dem stets auf den eigenen Inhalten fixierten klein-maßstäblichen und proprietären Zugangs-Technologien der Verlage fremd und nicht zugänglich. Die Verlage werden auf die Inhaltserstellungs-Rolle reduziert.

Dies kann man als Nachteil oder Verlust sehen, man kann darin aber auch eine verlegerische Chance sehen, insbesondere zu mehr inhaltlicher Differenzierung und Qualität, durch die 100%ige Konzentration auf die inhaltliche Erstellungsrolle. Den Zugang zu ihren Inhalten können und müssen die Verlage künftig den Access-Spezialisten anvertrauen, da nur diese den Zugang „jederzeit und überall“ garantieren können. Und solange der Wettbewerb zwischen diesen Access-„Dienstleisern“ funktioniert, solange können sie auch weiterhin ihre Unabhängigkeit als Inhaltsersteller behalten und so lange wird sich auch der Wettbewerb um die besten Inhalte  weiterentwickeln. Im Grunde ist diese Entwicklung nur die Fortsetzung einer meist unter dem Etikett Outsourcing beschriebenen Entwicklung einer ganzen Reihe von vormals verlags-internen Wertschöpfungsprozessen, angefangen vom Satz und Druck, über das Lager, die Versandlogistik bis hin zu Marketing und Vertrieb. Alle diese dem Inhalten dienenden Leistungen wurden in den letzten Jahrzehnten von den Verlagen an externe Dienstleister ausgelagert, nicht zu ihrem Nachteil, sondern zu Ihrem Vorteil durch effizientere Prozesse durch höhere Skalierung und mit der Chance, sich noch stärker auf den Inhalt konzentrieren zu können.