Mittwoch, 24. März 2010

These 7: Skalieren heißt überleben

Jahrhunderte lang waren die Printmedien die einzige Massen-Kommunikationsplattform. Heute sind sie nur noch eine unter vielen. Die Verlegerverbände wenden an dieser Stelle sofort ein, „aber eben die Beste“. Geschenkt, klar sind sie das, aber nur (noch) für spezielle Marktsegmente. Noch reicht dieses Spektrum von den (herkömmlichen) Publikums-Zielgruppen bis hin zu den spitzen Fachzielgruppen. Noch wohlgemerkt, da auch die Kunden Zeit brauchen, die neuen Optionen des Internets für ihrer Geschäfts- und Freizeitprozesse zu erkennen. Doch diese Segmente werden jährlich kleiner und bezogen auf die Wirkungsleistung (Aufmerksamkeit) zunehmend anders. (Dazu und zur notwendigen Veränderung und Qualifizierung des Begriffes „Reichweite“  und "Aufmerksamkeit" in späteren Beiträgen mehr).

General Interest Portale, Transaktionsportale und Social Media (Portale) entwickelten sich im Internet in den letzten zehn Jahren in einer nicht gekannten Vielfalt und Reichweite und entzogen, bezogen auf ihre Leistung als Werbe-Kommunikationsplattform, den traditionellen Medien nachhaltig strukturelle Marktanteile (Aufmerksamkeit). Der „Reichweitenverlust“ beschränkt sich nicht auf die Papierplattform. Auch die großen Medien-Flaggschiffe im Internet besitzen im Vergleich zur Gesamt-Reichweite aller Internet-Angebote nur noch marginale Reichweiten. Und es ist davon auszugehen, dass dieser Prozess weiter voranschreitet. Ein neues Gleichgewicht ist derzeit nicht in Sicht.

Gleichzeitig schreiten die Individualisierung der Kundenansprüche und die Markt-Fragmentierung weiter voran. Der verlegerische Maßanzug, die individuell und kontextuell passgenaue Information, ist in einzelnen (Internet-) Marktsegmenten bereits heute und Morgen schlichtweg in allen Märkten Basiserwartung. Mit den Möglichkeiten der Printwelt, obwohl auch diese sich technologisch weiterentwickelt, ist dieser Maßanzug nicht darstellbar.

Die künftige Refinanzierung verlegerischer Leistung im Internet erfordert deshalb kein weiteres Re-engineering der herkömmlichen Wertschöpfungskette und auch kein neues Geschäftsmodell, sondern den Einstieg in eine vollständig neu definierte verlegerische Wertkette. Diese wird dramatisch „kürzer“ sein und sich fast ausschließlich auf die Inhaltsgenerierung und Markenbildung beschränken. Der (Mehr-)Wert der Inhalte wird künftig weit weniger vom normativen Duktus geprägt, sondern viel stärker von der individuellen Relevanz. Diese hängt von der Qualität der intellektuellen Verlinkung und der kundenabhängigen Vernetzung ab, wie in These 5 und 6 ausgeführt. Die Komplexität der hierfür erforderlichen Tools und Verfahren nimmt mit der technologischen Innovation permanent zu und ist nur durch konsequente Spezialisierung auf den Inhaltsprozess beherrschbar. Dies wird dazu führen, dass die Verlage zunächst ihre traditionelle Wertkette weiter durch Outsourcing aller „dienenden“ Prozesse (zum Begriff siehe These 6) auf die verlegerische Kernleistung Inhaltsgenerierung konzentrieren werden (müssen).

„Alles. Jederzeit. Überall.“ zitierte ich in These 4 den VDZ. Alles heißt aus Sicht des Kunden aber schlichtweg: Alle Inhalte aller Verlage. (Diese Forderung mag aus Sicht der Publikumsmarktes noch übertrieben erscheinen, sicherlich jedoch nicht bezogen auf „kritische“ Fachinformationen. Sie erwarten heute doch auch ganz selbstverständlich, dass ein Wissenschaftler, Ingenieur oder Arzt bei sicherheitskritischen Entscheidungen weltweiten Zugriff auf alle einschlägigen Fachinformationen hat, ganz egal wo diese „zufälligerweise“ verlegt worden sind.) Am weitesten hierbei ist, ich nehme an, Sie stimmen mir hier zu, Google vorangeschritten. Google dient als Beispiel für eine „offene“ Plattformstrategie. Das Beispiel für eine „geschlossene“ Plattformstrategie heißt heute Apple. Es liegt nun an den Verlagen, durch verlegerische Innovationen das Verlegen im Internet neu zu erfinden.

Alles, jederzeit, überall – der verlegerische Maßanzug erzwingt die Skalierung des Inhaltsangebotes über die eigenen Verlagsgrenzen hinaus und erfordert neue Denkweisen und Fähigkeiten, die sich nicht mit dem Printgeschäft decken. Die Verleger müssen sich entscheiden, diese "Skalierung" den Nicht-Verlagen zu überlassen und ihre Mediengattungs- und Verlagsportfolio-Zäune im Internet zu verteidigen oder diese selbst in Angriff zu nehmen. Meine Skalierungs-Erfahrungen aus der spitzen, durch paid content Mauern abgeschotteten Fachinformationswelt sagen mir: die Google’s heute beschäftigen sich derzeit „nur“ mit der „Erschließung“ der bislang digitalisierten (kopierten) Printprodukte. Dies möchte ich nicht abwerten, ganz im Gegenteil, dies ist, aus Sicht des Kunden, eine auch gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die den einzigen „Schönheitsfehler“ hat, dass sie dem traditionellen Geschäftsmodell der Verlage zu schnell zu viel Umsatz entzieht.

Der erste (Denk-)Hebel, den man auf diesem Weg zur „Skalierung der Inhalte“ umlegen muss, ist, sich vom bisherigen produktspezifischen Produktionsprozess zu lösen, und die maximale Skalierung aller dienenden Prozesse zu starten, mit dem Ziel, die daran hängenden Kosten Richtung Null zu führen. Die Benchmarks hierzu werden von den globalen Plattformen vorgegeben. Facebook, eine einzige Plattform für Inhalte und Kommunikation für 400 Millionen User. In der Printwelt sind es die Verlage gewohnt, in „Plattformen“ für wenige Tausend Leser zu denken. Die Folge: Tausende von Print-Produkten wurden aus guter alter „Gewohnheit“ als Inselprodukt ins Internet portiert. Die Print-Marke wird, „expand your brand“ sei dank, crossmedial ins Internet verlängert und erhält ihre eigene Internetplattform. Dieser Weg ist offensichtlich notwenig als Lernkurve und Zwischenschritt. Es ist jedoch noch nicht der Weg in die langfristige verlegerische Internetwelt (siehe hierzu auch den Blog-Beitrag „Apple verändert alle Medien“).
Eine weitere unverzichtbare Fähigkeit auf dem Weg zur Skalierung sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, nämlich die Fähigkeit strategische Kooperationen eingehen zu können. Hierauf werde ich in These 10 näher eingehen.

Mittwoch, 10. März 2010

These 6: Verlinken und Vernetzen (2) - Aggregierung und Neumischung

Die (Vor-)Auswahl des Wichtigen und Relevanten sagte ich in These 4, sei Jahrhunderte lang die Kernleistung der Verleger gewesen. Ist dies nun endgültig Vergangenheit, seitdem Google und nun Facebook beginnen Mediengeschichte neu zu schreiben? Und was ist die neue Kernleistung des Verlegens im 21. Jahrhundert?

Kehren wir hierzu zurück zur Frage, was war die Kernleistung des Verlegens bis zum Internetzeitalter. Wie gesagt, es war vor allem die Auswahl oder die Erstellung der (wichtigen) Inhalte, die später, unter dem Einfluss des modernen, nach dem subjektiven Nutzwert fragenden Marketing, ergänzt wurde, um die Dimension Relevanz. Die Wertschöpfung des Verlegers war jedoch mit der Inhalte-Erstellung noch nicht abgeschlossen. Die Inhalte mussten auch zum Adressaten gelangen und dies erforderte zusätzlich eine gute technische Herstellung, ausgefeilte Logistikdienste und ein professionelles Vertriebsmarketing. Fassen wir diese nachgelagerten Leistungen sprachlich als „dienende“ Prozesse zusammen. Der Wettbewerb unter den Verlagen bezog sich nun über Jahrhunderte auf diese gesamte Wertschöpfungskette. Wer wirtschaftlich erfolgreich sein wollte, musste auf allen Gebieten eine gute Leistung bieten, musste gute Inhalte liefern und mit guten „dienenden“ Prozessen die Inhalte (zum richtigen Zeitpunkt) in den Markt bringen.
In der digitalen Welt bricht nun diese geschlossene Wertschöpfungskette auf. Die „technologischen“ Treiber digitalisierten zunächst die (traditionelle) Wertschöpfungskette, trennten sie dann aber schnell in seine Einzelteile auf. Dadurch erreichten sie Skaleneffekte wahrhaft globalen Ausmaßes, sowohl auf der Kostenseite (Produktion), als auch auf der Kundenseite (Aufmerksamkeit). Macht man sich diesen Prozess an einigen Beispielen bewusst, ich werde im Rahmen dieses Blogs versuchen, einige lehrreiche Beispiele zu erläutern, dürfte uns der Erfolg von Google, Facebook & Co. nicht länger wundern.

Was bleibt für die Verleger übrig? Braucht man im 21. Jahrhundert überhaupt noch Verleger, wenn doch die Technologietreiber alle „dienenden“ Prozesse übernehmen und jeden Bürger und jeden professionellen Autoren kostenlos mit allen verlegerischen Werkzeugen und Prozessen ausrüsten? Ich beschäftige mich seit 1995 mit dieser Frage und mein Fazit heut ist: ja, mehr denn je. Jedoch nur im Rahmen ihrer (intellektuellen, autorenabhängigen) Inhalte-Kernleistung. Alles andere jedoch, alle den Inhalten „dienenden“ Prozesse, werden künftig die Nicht-Verlage, verlegerische Service-Dienstleister, übernehmen. (Denken Sie bitte an diese Überlegung, wenn Sie mal wieder auf einem Vortrag hören, wie Sie ihr Kerngeschäft durch die Ausweitung von „Neben-Geschäften“ auf Dauer verteidigen und stützen können.)

Überlegen Sie doch kurz: welcher Verlag hat heute noch eine eigene Druckerei, ein eigenes Auslieferungslager, unternehmensspezifische Individualsoftware, hausinterne Spezialisten für CRM usw. Und wie war das 1970, 1990 und heute? Der Aufspaltungsprozess der vormals integrierten verlegerischen Wertschöpfungskette durchzieht mein gesamtes Berufsleben. Mit der Digitalisierung wird dieser Prozess nun dramatisch beschleunigt, so dramatisch schnell, dass selbst die Geschäftsführer von im Medienwandel ganz vorne mitspielenden Verlagen mir „erklären“, dass ein Verlag, der sich nur auf die Inhalt-Seite beschränkt, kein „richtiger“ Verlag mehr sei. Klar ist das richtig, jedoch nur im Sinne des traditionellen Verleger-Bildes. Doch schauen Sie sich einfach mal die Veränderung der Wertschöpfungsprozesse in anderen Branchen an, vor allem bei Ihren Kunden.
Fragen wir nun: Was macht ein Autor, wenn er Inhalte erstellt? Wenn Sie versuchen, diese Frage auf einer abstrakten und verallgemeinerbaren Ebene zu beantworten, kommen Sie vielleicht zu folgender Überlegung: er verbindet, vergleicht, gruppiert „einzelne“ Ideen, Gedanken, Bilder, Fakten in einer neuen oder anderen Art und Weise und versucht darüber hinaus (insbesondere mit Hilfe der professionellen Verleger) diese neue „Einsicht“ oder Information oder wie immer Sie dies nennen wollen, in den Markt zu bringen. Kurz (siehe Schaubild oben): Er verlinkt (Inhalte) und vernetzt (Markt, Personen). Sie erinnern sich jetzt an die Mission-Statements von Google und Facebook (siehe These 5)? Und Sie erkennen, wie ungeheuerlich stark dieser „Prozess“ durch maschinelle Verfahren unterstützt werden kann.
Ich meine jetzt allerdings nicht, dass künftig nur noch die Algorithmen der Ingenieure die „Inhalte“ erstellen – in einigen Bereichen tun sie das ja bereits seit langer Zeit – sondern ich meine, dass die digitalen Prozesse und Verfahren auch und gerade den Autoren, Lektoren, Redakteuren und Journalisten, wie dem privaten Blogger und dem Bürger, ganz neue Hilfsmittel geben, neue und bessere Inhalte zu erzeugen und anderen mitzuteilen. Sie kennen all die feinen Beispiele, wie allein durch die „Aggregierung und Neumischung“ durch digitale Verlinkung von bislang „verlegerisch“ durch Konkurrenzzäune getrennten Inhalten, dramatisch neuer Kundennutzen entstand und etablierte Verlagsprodukte mitsamt den Zielgruppendefinitionen ins Abseits drängte.

Als ersten Rat, so meine Thesen 5 und 6, kann man nur geben: Verlinken Sie selbst aktiv Ihre Inhalte über Produkt- und Verlags-Grenzen hinweg und vernetzen Sie diese mit den Kommunikations- und Transaktions- sowie Geschäfts- oder Freizeit-Prozessen der Kunden. Denken Sie im ersten Schritt an die Informationsprozesse Ihrer Kunden und wie sie diese digital besser unterstützen können und denken sie erst danach über die passenden Geschäftsmodelle nach.

These 5: Verlinken und Vernetzen (1) - Konvergenz von Inhalt und Interaktion

Die Internet-Plattform ist allen Print-Gattungen funktional überlegen. Daraus folgt: die bloße Kopie eines Printangebots kann die originären Mehrwerte von Online nicht einlösen. Auch dies erklärt, warum nach Jahren im Zeitungsmarkt der ePaper-Anteil noch immer unter 0,5% der Printausgaben liegt. Nur ein wenig besser ist bislang die Situation im Buchbereich.

Konstituierend und charakteristisch für die Ausbildung der Mediengattungen Zeitung, Zeitschrift und Buch sind die originären (durch die Körperlichkeit bedingten) Vorteile und Nachteile der Printplattform. Die tägliche Signalisierungsfunktion der Zeitung verträgt sich nicht mit der systematischen Breite und Tiefe eines Buches und umgekehrt. Dies galt Jahrhunderte lang und gilt bis heute, allerdings nur (noch) in der Printwelt. Im digitalen Onlinebereich gelten andere, neue „Gesetze“. Im Rahmen der ersten großen Digitalisierungswelle von ca. 1995 bis 2005 haben die Verlage, fixiert auf die hohe Qualität ihrer Printprodukte, auf die sie zu Recht stolz waren, übersehen, dass die der Printform immanente Qualität beim digitalen Kopieren nicht mit kopiert werden kann. Entsprechend groß war die Enttäuschung hinterher. Erst seit ca. 2005 lernen die Verlage langsam, sich vom bloßen Kopieren zu lösen und neue verlegerische Formen und Wege zu suchen. In der Regel werden dabei jedoch die nur aus der Printwelt ableitbaren (alten) Mediengattungsgrenzen nicht in Frage gestellt, sondern weiter (unreflektiert) „verteidigt“. Natürlich gibt es bereits hervorragende Ausnahmen von dieser Regel, die sich jedoch derzeit in ihren wenig beachteten Nischen sehr wohl fühlen.


Im obigen Bild habe ich die typischen originären Merkmalseigenschaften der Printgattungen verdeutlicht. Das Diagramm ist um zwei originäre Vorteile der Internet-Plattform, nämlich Verlinkung und Vernetzung, ergänzt. Die blaue Außenlinie soll zeigen, dass das Internet allen Printgattungen drastisch überlegen ist. Es gibt eine einzige Ausnahme, ein Merkmal, das im Diagramm nicht eingezeichnet ist: Die haptische Dimension. Dies ist der einzige originäre Print-Mehrwert gegenüber der digitalen Welt, so meine zugespitzte These. Und auch hier kann man ergänzen: Einige wenige Verlage haben dies bereits vor Jahren erkannt und setzen erfolgreich auf die haptische Karte.

In These 4 habe ich daran erinnert, dass die Digitalisierung nicht auf die Inhalte-Ebene beschränkt ist, sondern alle privaten und geschäftlichen Kommunikations- und Interaktions- sowie Freizeit- und Produktionsprozesse einschließt. Dies hat u.a. dazu geführt, dass zu Produktionsprozessen, die stark von Fachinformationen „gelenkt“ werden, schon früh digitale „Integrationslösungen“ (Verschmelzung von Fachinhalt und Prozess), entstanden sind. (Siehe z.B. http://knol.google.com/k/paul-gegg/zur-theorie-des-digitalen-medienwandels/2oxu40lzndsaq/1##
Im Gegensatz dazu haben im Breitenmarkt seit ca. 2005 die Social Media Networks begonnen, Massenmedieninhalte und User auf und in ihre digitalen „Kommunikations- und Interaktionsplattformen „zu ziehen“ und ihnen ein „zweites Zuhause“ oder ein digital life zu schaffen. Nach dem optimistischen Motto „wir müssen unseren Kunden mit unseren Inhalten ins Internet folgen“ beginnen mehr und mehr Verlage sich auf diesen Weg schieben zu lassen, ohne dabei zu reflektieren, dass sie auf die Strategien anderer reagieren und nicht selbst strategisch agieren.

Das Bild soll jedoch darauf aufmerksam machen, dass in der digitalen Welt Inhalt und Interaktion „verschmelzen“ (können), in einer Art und Weise, wie dies in Print nie und nimmer vorstellbar war. Es geht längst nicht mehr „nur“ um „Alles. Jederzeit. Überall“, wie die VDZ-Broschüre (beruhigend?) vermitteln möchte. Die Veränderungen greifen dramatisch weiter. Wir stehen vor dem Sprung, das VERLEGEN grundsätzlich neu erfinden zu können und zu müssen. Wenn die Verlage es nicht tun, werden es die anderen tun. Sie kennen ja die treibende Vision des ersten Internet-Jahrzehnts: „Die Informationen der Welt zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen“ (Google). Noch Fragen? Und die nächste Vision schickt sich an, diese noch zu toppen: "Wir wollen die Welt miteinander verbinden. Das ist unsere Mission" (Facebook).

Alle Verlagsinhalte aller Verlage können verlinkt werden und alle User können mit allen vernetzt werden. Derzeit laufen im Markt die zwei Entwicklungszweige etwas getrennt und zeitversetzt. Die Fachinformation ist im Bereich der Verlinkung der Inhalte in einigen Pionierbranchen (zum Beispiel Rechtsinformationen) schon weit fortgeschritten, die Massenmedien bzw. die Social Networks Medien dagegen im Bereich der Vernetzung. Man kann jedoch bei einigen Spezialisten bereits heute erkennen, wie radikal und weitreichend die Folgen der Verlinkung und Vernetzung von Inhalt und Prozess werden.

Für die Zukunft von Print gilt daher: reduce to the max. Für die Zukunft von Online gilt: expand to the max.








These 4: Verlegen als Interaktion - Von der Vorauswahl zum Access

Die traditionellen Mediengattungen Zeitung, Zeitschrift, Buch sind geprägt von den körperlichen Limitierungen und Grenzen der (Gutenberg’schen) Print-Welt. Im Zuge der Entwicklung des Handwerks und der Industrialisierung wurden diese Grenzen immer weiter hinausgeschoben. Die Differenzierung und Verbreitung der heutigen Printmediengattungen sucht seinesgleichen. Der Redaktionsschluss einer Tageszeitung weit nach Mitternacht und Zustellung in den Briefkasten des Leser bis 6 Uhr Morgens, heute eine Selbstverständlichkeit, so sehr haben wir uns daran gewöhnt.

Autoren, Redakteure und Lektoren sind durch professionelle Ausbildung trainiert, Inhalt und Form als Einheit zu denken. Text, Bild und Medium in perfekter Harmonie, „Einheit aus Inhalt und Form“. Und der Leser wurde über Jahrhunderte „trainiert“ auf Qualität zu achten. Man kann nicht alle Bücher kaufen, man kann nicht jede Zeitung lesen, man muss die Richtigen auswählen. Die Vor-Auswahl des Wichtigen und Relevanten für den Leser, das war die originäre Kernleistung des Verlegers über Jahrhunderte. (Und heute nicht mehr? Dazu später mehr.)

Doch im Internet gibt es keine (körperlichen) Grenzen (mehr). Verlegen als Vorauswahl des Wichtigen für definierte Zielgruppen war nur ein Spezialfall der Print-Welt. Verlegen 2.0 heißt heute: (digitaler) Access (Zugang) zu allem was für mich als Individuum in diesem Augenblick relevant ist. Auch der VDZ schließt sich offenbar nun dieser Meinung mit seiner Broschüre „Alles. Jederzeit. Überall“ an.

Das Internet bietet völlig neue Möglichkeiten Inhalte zu erstellen, darzustellen, zu bündeln, zu verlinken, zu vernetzen, zugänglich zu machen und zu nutzen. Um diese neuen Möglichkeiten sehen und weiter entwickeln zu können, müssen wir allerdings zuerst von unsere körperlichen Produktvorstellungen aus der Print-Welt über Bord werfen. Die Kraft der schöpferischen Zerstörung wurde bereits vor Jahrzehnten in der Makroökonomie von Josef Schumpeter bekannt gemacht.

Der Long Tail des Chris Anderson beschreibt eindrucksvoll die Überwindung der Zugangsgrenzen der bisherigen Produktgranulierungen der analogen und der Printwelt (der professionellen Verlage) durch digitale Technologien. Google öffnete den weltweiten Zugang zu allen digitalen „Inhalte-Spuren“ im WWW, Facebook beginnt damit die Persönlichkeitsprofile des modernen Users weltweit zu kartographisieren und twitter & Co. beginnen unsere Interaktionsprofile in Echtzeit zu vermessen und für das Marketing des 21. Jahrhunderts aufzubereiten. Da können die Telekommunikationsriesen nicht länger untätig bleiben. Mitte Februar haben sich 24 führende Telekommunikationsunternehmen zur „Open Global Alliance“ zusammengetan, um im globalen Wettstreit um die weltweite Verteilung (Zugang verschaffen) der „Apps“ endlich auch mit von der Partie zu sein.

Das Internet hat alle Branchen digitalisiert, nicht nur die Inhalte-Branche (der Verlage). Mündliche und schriftliche, private wie geschäftliche Kommunikation und Interaktion sind heute digitalisiert und ersetzen mehr und mehr die direkte (körperliche) Interaktion. Das bisherige passive Konsumieren von (Verlags-) Inhalten ist jetzt medienbruchlos eingebettet in den gesamten Interaktionsprozess des Users. Der User „kauft“ Inhalte nicht länger auf Vorrat, warum sollte er auch, wir erklären ihm jeden Tag, wie schnell alles „veraltet“, er möchte aus seinem täglichen Interaktionsprozessen spontan genau das kontextuell jetzt passende aus dem Inhalte-Universum „herausgreifen“ bzw. Zugang haben. Er selbst (möchte) künftig bestimmen, was wichtig und relevant ist. Und er hat mächtige Unterstützer auf seiner Seite.

Den Kindern eine Zeitung, geschrieben für den Erfahrungshorizont von Erwachsenen, vier Wochen lang in die Schulklasse liefern, wird daran nichts ändern. Längst ist das statusträchtige „Besitzen“ bzw. „Abbonieren“ von „wichtigen“ Büchern oder Zeitungen längst dem viel statusträchtigeren Besitzen der Gadgets von Apple & Co. gewichen. Das schickeste Userinferface-Device und die größte Access-Reichweite, das sind die (medialen) Statussymbole der kommenden Generation. Die (Print-) Verleger waren Jahrhunderte lang die Gatekeeper des "Inhalte-Zugangs durch Verteilen und Besitzen". Hierin lag ein wichtiger Wettbewerbs- und Differenzierungsfaktor. In der digitalen Welt funktioniert diese digitale Kopie des alten "Zungangsmodells" jedoch nicht.

Freitag, 5. März 2010

These 3: Internet – Das Ende der Entfernungen

Vergessen Sie‘s“, sagte Management-Guru Tom Peters im Jahr 2000 und meinte unsere vergangenen Erfolge. Sie verführen uns vom bisherigen Ausgangspunkt zu denken, mit der Folge: Stets versuchen wir auf’s neue, unser bestehendes Produktmodell noch weiter zu verbessern, anstatt wirklich neue Wege zu probieren.

Solange Sie das Internet (nur) als neue Trägerplattform für Ihre vertraute herkömmliche Mediengattung wahrnehmen, werden Sie folglich immer wieder nur versuchen, die herkömmliche Mediengattung auf die neue Plattform zu kopieren oder bestenfalls „mediengerecht“ zu transformieren. Das Denken vom Ausgangspunkt verhindert, dass sie das Geschäftsmodell Verlegen NEU denken und in Folge neu erfinden.

Ist es nicht erstaunlich, wie ungestört voneinander, weiterhin säuberlich (mental) getrennt durch die uralten Mediengattungszäune Zeitung, Zeitschrift, Buch sowie Radio, Fernsehen und Film, alle Verleger ihre vertraute Gattung in das Internet kopieren und dabei nicht nur ihre alten Produktkonzepte, sondern auch ihre alten Geschäftsmodelle mitkopieren (wollen). Ist expand your brand wirklich schon der neue trail in die verlegerische Zukunft oder reiten wir dadurch nur auf unserem vertrauten (Gutenberg-) Weg noch tiefer in die Canyonfalle der engen Gedankenschlucht des David Perkins? Ist „Königsweg Crossmedia“, „Expand your brand“ und „Print Plus“ Internet wirklich alles, was den Verlegerverbänden und Europas größtem Medienkongress einfällt, auf dem Weg raus aus der strukturellen Medienkrise und hinein in die „Connected Worlds“ des neuen Jahrhunderts? „Wir sind alle sehr gut ausgebildet“, sagte ich auf diesem Kongress vor Jahren, so gut, dass wir unsere bisherigen Erfolge nicht mehr „vergessen“ können (und wollen). Und die Controller pflichten uns bei, wenn wir behutsame Migrationspfade von Print ins Internet als Innovation preisen oder versuchen Print durch das Andocken von Internet-Extensions zukunftsfähig zu halten. Wir haben schließlich ja nur diesen einen Print-Umsatzstrom, mit dem wir den Medienwandel finanzieren können. Wer sollte uns das verdenken?

Unsere sehr gute Ausbildung verhindert unseren Erfolg beim Überwinden der Canyonfalle. Wir ergänzen unsere alten Medien- und Marktstatistiken um die neue „Gattung“ Internet und unsere mediengattungs- fokussierten Schulen ergänzen ihre Curricula nach dem Modell „alte Mediengattung plus Internet“. Unsere alten Mediengattungen sind wirklich perfekt und optimiert, es geht einfach nicht mehr besser. Also was liegt näher, als diese perfekten Konzepte mit einem Internet-Add-on zu ergänzen? Die Perfektionsfalle??

10 Jahre sind die traditionellen Verleger jetzt auf diesem Weg fortgeschritten und haben ihre Erfahrungen gesammelt. Sie haben sich nicht beirren lassen vom „Vergessen Sie’s“ eines Tom Peters und der Aufforderung das Verlegen grundsätzlich ganz neu zu erfinden. Sie haben seine Metapher „Das Ende der Entfernungen“ nicht verstehen können, ist doch die gesamte Medienentwicklung seit Gutenberg auf die „Überwindung“ der körperlichen Entfernungen und Grenzen ausgerichtet. Die Verleger wissen, wie schwierig es war und bis heute ist, diese körperlichen Grenzen und Entfernungen tagtäglich zu überwinden. Und sie wissen, sie haben hier sehr gute Arbeit geleistet. Und hat ja nicht exakt diese körperliche logistische Limitierung zur Ausbildung der Jahrhunderte lang bewährten Mediengattungsdifferenzierung geführt. Das vergisst man nicht so einfach und lässt es links liegen.

Das machen die anderen, die Google’s der „Connected Worlds“ des 21. Jahrhunderts. Schade.

P.S. Einige Tipps, wie Sie einen Prozess gestalten können, das Denken vom Ausgangspunkt zu überwinden, finden Sie auf http://www.innovation4publisher.com/.

Donnerstag, 4. März 2010

These 2: Das Internet verändert alle Medien

Wer sind eigentlich die Treiber des (digitalen) Medienwandels heute, 500 Jahre nach Gutenberg und 50 Jahre nach der Industrialisierung der Medienbranche, zu Beginn des Zeitalters der „Connected Worlds“? Sind es Google, Apple und Co. oder ist es die Internettechnologie, die Digitalisierung aller Lebens- und Geschäftsprozesse? Auf wen müssen wir schauen und nach wem müssen wir uns richten, wenn wir selbst neue Medieninnovationen auf den Weg bringen wollen, wenn wir selbst das Verlegen neu erfinden wollen?

Gehen wir einfach mal von der These aus: Digitalisierung und Internet sind die Tempo und Richtung bestimmenden Treiber des Medienwandels. Die nächste Frage ist dann sofort: Was heißt Medienwandel? Heißt Medienwandel, dass digitale Medien zusätzlich zu den traditionellen Print-Medien hinzukommen und diese als die bessere Alternative langsam oder schneller verdrängen und irgendwann ganz ablösen? Wie wir dem Motto „Connected Worlds“ der CeBIT 2010 entnehmen können, sind die Folgen des Internets ja nicht auf die Verlags-, Medien- und Kommunikationsbranche beschränkt, sondern durchdringen und verändern alle Lebens- und Geschäftsbereiche.

Es geht nicht nur darum, dass Print an Auflage verliert und die neuen digitalen Medien an Auflage gewinnen. Es geht darum, so die These: Digitalisierung und Internet verändern ALLE Medien, also auch die traditionellen Print-Medienformate, und führen zu einem neuen Nutzungsprofil und einer neuen Arbeitsteilung aller Medien. Künftig gilt, mit dem neuen Verständnis der originären Mehrwerte aller Medienformate und Plattformen, egal ob digital oder gedruckt, neuartigen und besseren Nutzen für den Kunden zu schaffen. Am besten gemeinsam mit dem Kunden, denn ohne ihn, geht es sowieso nicht. Mit einem solchen „breiten“ Ansatz erübrigt sich auch sofort die innovationsfeindliche Kannibalisierungsfrage.

Es genügt längst nicht mehr, die Printmedien oder selektive Teile derselben nur auf die neuen digitalen Trägerplattformen zu kopieren oder zu adaptieren oder diese um spezielle Online- oder Mobile-Fassungen zu ergänzen. „Expand your brand“ ist bestenfalls ein kurzer Zwischenschritt, aber kein Leitstrahl in die verlegerische Zukunft.

Kurze Replik: Die Zukunft von Print heißt „Print Plus“ hat der VDZ am 21. Januar 2010 erkannt. Das katapultiert mich zurück in das Jahr 1996. In diesem Jahr hatte ich bei einem großen internationalen Fachverlag die "Loseblattwerk-3Plus" Produktschiene gelaunched, jedoch mit einer anderen Intention, als der Verband im Jahr 2010. Das Loseblatt-Werk-3Plus (Loseblattseiten puls CD-Rom plus Internetdatenbank) läutete die schrittweise Migration der Inhalte vom Papier ins Internet ein, schrittweise angepasst an das Umstellungstempo des Kunden und seiner Geschäftsprozesse, im Rahmen einer bereits existierenden Abo-Beziehung. Die Migration ist längst beendet, die Kunden und die Loseblatt-Fachinformationen sind seit Jahren im Internet und lagern sich als (paid content) Informations-Layer über die digitalisierten Geschäftsprozesse der Kunden.

These 2 teilt die Meinung des VDZ insoweit, dass Print eine Zukunft hat. Ich habe die VDZ-These jedoch so verstanden, dass durch die Hinzufügung von technischen und digitalen Add-ons, die Lebensdauer der bisherigen Printformate auf Dauer verlängert werden kann. Das Ziel dieser mutig als Schlüsseltrend ausgerufenen Vision ist, mit dem Hinzufügen von technischen (need-to-have oder nice-to-have) Gadgets das herkömmliche Printprodukt bestandssicher zu machen. Das ist eine andere, die originären Print-Weiterentwicklungspotenziale ausblendende Leitlinie. Meine Vision von der Zukunft Print heißt, mutigen Pionieren abgeschaut: „reduce to the max“. Mehr hierzu in Kürze in These 5 "Verlinkung und Vernetzung".

Mittwoch, 3. März 2010

These 1: Der Markt nutzt immer alle Medien

Dem Riepl’schem Gesetz zufolge wurde noch kein altes Medium von einem Neuen abgelöst. Na ja, mag’ ja sein. Doch richtig ist auch: kein neues Medium hat sich in der Vergangenheit so explosionsartig verbreitet, wie das Internet. Und mit dem Mobilen Internet wird dieses Wachstum nun nochmals getoppt.

Also, verlegerische Entwarnung, schrumpfen wir halt ein wenig oder ein wenig mehr mit Print und spezialisieren wir uns noch intensiver auf unser Kerngeschäft? Oder machen wir halt auch mit bei der „expand your brand“ ins Internet-Strategie, wenn das Wachstum denn so unaufhaltsam ist, der Leser sich zum User wandelt und uns lieber digital lesen möchte? Und hat uns nicht gerade Apple erklärt, dass wir jetzt mit dem iPad endlich die perfekte digitale Leseplattform für unsere alten, traditionellen, unveränderten (Print-)Inhalte haben. Für Buchinhalte bestens geeignet, auch für Zeitschriften und Tabloidformat-Zeitungen, sogar mit dem Blättern-Feeling, das wir so mögen? Wir (Verlage) müssen uns um nichts weiter kümmern, sondern nur die Daten auf die Apple-Plattform laden und unsere Erlaubnis zum Kopieren geben. Wir könn(t)en uns endlich ganz auf unser Inhaltsgeschäft konzentrieren, alles andere, Werbung, Vertrieb, Logistik, Abrechnung, erledigt freundlicherweise Apple für uns.

Schaut man genauer hin, erkennt man, dass der Medienwandel nach Mediengattung, Branche, Thema und Kundenzielgruppen deutlich unterschiedlich verlaufen ist und vermutlich weiter wird. Längst gibt es Märkte, in denen Print bereits vor Jahren vollständig durch Internet ersetzt wurde, Märkte in denen die crossmediale Print-Internet-Strategie die Richtung angibt und Märkte, in denen sich Internet nur ganz zaghaft entwickelt hat. Die richtige Strategie in diesem Möglichkeitsraum, nur Internet, nur Print oder irgendwo in der Mitte, hängt vom konkreten Einzelfall ab.

Jedoch, für die Mehrzahl der Verlage, so meine These, gilt in den nächsten Jahren die crossmediale Print-Internet-Strategie. Die Verlage müssen lernen, die Informationswünsche des Kunden in Print und Internet zu erfüllen und beides mit deutlich zurückgehenden Erlösen zu finanzieren. Erst letztere Bedingung macht die Sache verlegerisch und unternehmerisch herausfordernd.

Verlagsinhalte als die Werbeplattform schlechthin, das ist Vergangenheit. Der Konkurrenzdruck um die digitale Aufmerksamkeit (im Internet) ist drastisch größer, die Verlagsinhalte spielen hier nur noch eine Nischenrolle, bezogen auf die „Reichweiten“. Nimmt man dieses Szenario ernst, dann wird klar: herkömmliche Rezepte wie Re-engineering und Kostenoptimierung verlängern nur das Leiden. Dies geht nur mit radikal neuen Wertschöpfungsstrukturen und –prozessen. Kooperieren, Verlinken und Skalieren werden die Richtung weisen. Der viel beschworene Versuch durch die Ausweitung von Nebengeschäften, Serviceleistungen und eCommerce-Geschäften, konnte und kann in einigen Fällen neue Umsatzbereiche neben dem schrumpfenden Inhaltsgeschäft erschließen, ist aber keine Antwort darauf, das verlegerische Inhaltsgeschäft (Kerngeschäft) im Internet NEU zu erfinden. In der Mehrzahl der Fälle, verlängert es den Anpassungs- und Neuerfindungsprozess. Wer diese Verlängerung nutzt, sich auszuruhen, anstatt das Verlegen im Internet neu zu erfinden, ist nicht gut beraten.

Internet - Das Ende der Entfernungen: 10 Meta-Thesen zum Medienwandel

Es gibt nur eine einzige Möglichkeit für ein Unternehmen sich kontinuierlich am Markt zu behaupten: die permanente Weiterentwicklung oder Erneuerung des Leistungsangebotes. Und es gibt genau zwei Handlungsmöglichkeiten dieses zu erreichen: entweder selbst neu erfinden (Innovator-Strategie) oder beim Wettbewerb abschauen (Optimierungs-Strategie), vornehm als Benchmarking bezeichnet. Welche Strategie die bessere ist, hängt vom Einzelfall ab. Letztere gilt gemeinhin als leichter und ist weit verbreitet. Erstere gilt als schwieriger und risikoreicher. Start-ups versuchen die Wachstumsvorteile des Innovators zu erschließen, traditionelle Unternehmen versuchen das Flop-Risiko des Innovators zu vermeiden und als late adopter und Optimierer ihr Glück. Beide Strategien erfordern jedoch unterschiedliche Kompetenzen, weshalb Unternehmen selten beide beherrschen und verfolgen.

Was macht die Innovator-Strategie so schwierig? Es ist die Abstraktion. Sie erfordert eine von den aktuellen, konkreten, anfassbaren Marktprodukten (und Services) losgelöste und abstrahierende Vorstellungsweise von künftigen Nutzenpotenzialen neuer Technologien und Prozesse. In unserer fachlichen Ausbildung dominiert jedoch seit Jahrzehnten das Konkrete, das Produktspezifische. Der Medienmarkt bis etwa 2000 ist geprägt von der Optimierung und Perfektion des Print-Pradadigmas. Der Medienmarkt in Deutschland ist ausdifferenziert wie nirgends auf der Welt und die Verlegerverbände geben sich große Mühe, das weitere Differenzierungspotenzial des herkömmlichen Print-Modells mit Hilfe neuer Technologien zu propagieren, warum auch immer. „Wir sind alle sehr gut ausgebildet“, sagte ich auf den Medientagen München in 2006. Ausgebildet in der Perfektion der Printmedien, egal ob Zeitung, Zeitschrift oder Buch oder welcher Unterdifferenzierungen innerhalb der Gattungen auch immer. Immer gilt: Form und Inhalt in perfekter Harmonie, die perfekte Einheit aus Inhalt und Form.

Dies ist jedoch eine große Hürde, um wirklich neues zu erfinden. Wir sehen nur, was wir bereits kennen, ruft uns die Wahrnehmungspsychologie zeit Jahrzehnten zu und Managementguru Tom Peters legt nach: „Das Denken vom Ausgangspunkt, verhindert ihren Erfolg.“ Dies ist der Grund, warum bis heute alle wesentlichen digitalen Medien-Innovationen von Unternehmen außerhalb der traditionellen Verlags- und Medienbranche angestoßen wurden. Die Etablierten tendieren immer zur Besitzstandverteidigung, oftmals bis zum eigenen Untergang, egal in welcher Branche.

Doch wie kann man Neues finden, wenn man sich vom Alten vollständig löst? Was bleibt dann noch? Wo soll man suchen, was soll man suchen, wie soll man suchen? Zurück im Klondike-Tal der Goldsucher Alaskas sagt der Innovationsforscher David Perkins und entwirft ein allgemeines Vorgehensmodell. Hintersinnig weist er jedoch darauf hin: Nur wenige sind in Alaska durch Goldfunde reich geworden, die meisten sind reich geworden, in dem sie die Goldsucher mit „Tools“ und Infrastruktur ausgerüstet haben, also zum Beispiel mit Spitzhake, Spaten, Proviant und Karten. Ihnen fällt da die Analogie zu Google & Co und den Verlagen ein? Mir auch!

In den nächsten Wochen werde ich in diesem Blog 10 Thesen zum Medienwandel vorstellen, die Ihnen vielleicht einige neue Denkanstöße bei Ihrer verlegerischen Goldsuche im Medienmarkt von Morgen helfen können. Das würde mich freuen. Vorab jedoch ein kleiner Hinweis: Entscheidend für Ihren Innovationserfolg ist nicht, ob Sie diese Thesen teilen oder nicht, entscheidend ist, dass Sie selbst für sich Thesen festlegen und sich dieser bewusst werden. Erst dann können sie Ihren Innovationsprozess auch methodologisch und strategisch steuern.

Kleines Beispiel vorab: Was verstehen Sie unter Internet? Verstehen Sie und ihre Mitarbeiter, von Ihren Kunden mal gar nicht zu sprechen, dasselbe? ist Internet für Sie zum Beispiel die Online-Ausgabe einer Zeitung oder eines Buches? Oder bedeutet für sie Internet einfach nur, so wie Tom Peters bereits im Jahr 2000 vorgeschlagen hat, das Ende der Entfernungen, das Ende der „starren“ Verbindung von Form und Inhalt, das Ende der Trennung von Inhalt und Prozess? Egal, mein Punkt an dieser Stelle ist nur: Machen Sie sich bewusst, wie stark solche impliziten Bilder Ihre Wahrnehmungsrichtung verändern. Wenn sie darüber nachdenken, wie sie Ihre (traditionelle) Print-Zeitung ins Internet portieren, gehören Sie dann zu den Goldsuchern? Oder gehören Sie zu denen, die die Goldsucher mit neuen Geschäftsmodellen unterstützen?

Montag, 1. März 2010

Apple verändert alle Medien oder etwa nicht?

Oder hängen Sie eher der These an, nicht Apple sondern Apple's iPad oder Ihr persönlicher eReader-Favorit ist die neue Zukunfts-Plattform für (die traditionellen) Verlagsinhalte, der neue Königsweg in die verlegerische Zukunft.

Was halten Sie von folgender Fassung: Nicht iPad & Co., sondern das Internet verändert alle Medien und führt zu einer neuen Arbeitsteilung aller Medien. Die originären Medien-Vorteile in der digital vernetzten Welt zu erkennen und zu neuem Kundennutzen zu formen, wird neuer verlegerischer Werttreiber.

Alle Medien heißt aber auch, die bisherigen Print-Medien werden sich verändern (müssen) und tun dies ja teilweise bereits seit Jahren, oftmals schleichend, heimlich, unbemerkt. Und alle Medien heißt eben auch, die Printmedien wandern nicht bloß als digitale Kopie ins Internet, sondern erhalten einen neuen (kleineren) Platz im Orchester aller Medien.

Beispiel Tageszeitung: Ist die Tabloidzeitung noch die alte Zeitung, nur in einem neuen Format oder spielt diese bereits eine neue Melodie auf einem neuen Platz im Medienorchester2.0? Beispiel Fachbuch: Der Online-Fachkommentar. Ich meine nicht die digitale Kopie eines renomierten (Print)-Kommentars auf einer Internet-Seite nach der „expand your brand“ Strategie, sondern einen reinen Online-Rechtskommentar, der keinerlei Print-Vergangenheit besitzt, der täglich aktualisiert und konsolidiert wird und die Signalisierungsfunktion der Fachzeitschrift gleich mit übernimmt.

Beides keine leichten Entscheidungen für mutige Verlagsmanager. Das ist jedoch nicht mein Punkt. Mein Punkt ist: Sind diese Entscheidungen „getrieben“ vom Internet oder vom Tablet-PC, vom eReader, iPad oder von was oder wem eigentlich? Und, bestimmt und lenkt die Antwort auf die „Treiber“-Frage unser Bild von und unsere Suchrichtung für die Medien von Morgen?

Auch Medienmenschen sehnen sich nach dem konkreten und an-fassbaren Produkt. Einen Tablet-PC kann man anfassen und er macht eine Tabloid-Zeitung digital „lesbar“, Bücher ja sowieso, und ich kann sogar mit dem Finger sensorisch „blättern“. Also, alles endlich wunderbar, wir müssen nur noch einige wenige, wenn auch schwierige handwerkliche Detailprobleme lösen, wie Kopierschutz, Formate-Wirrwahr und vernünftige Konditionen mit Apple & Co. aushandeln. Ja, war’s das dann schon mit dem Medienwandel?

Ja, wenn Ihr Bild von der digitalen Medienzukunft von den technischen Gadgets bestimmt und gelenkt und limitiert wird, dann war’s das schon. Aber wenn Sie zum Beispiel mit Gary Hamel meinen: „Das, was wir bereits zu wissen glauben, hält uns vom Lernen ab“, dann keinesfalls. Dann stehen Sie weiter vor einer rätselhaften Medienzukunft. Aber eben auch vor einer (noch) offenen und entdeckbaren Zukunft, mit allen Risiken und Chancen des Pioniers. Das macht die Sache schwierig und ungemütlich, gerade wenn die Print-Umsätze immer wieder an neuen Grenzkostenschwellen nagen und die Bankgespräche schwieriger werden.

Nein, Sie lassen sich nicht von Steve Jobs und dessen technischen User-Interfaces treiben, Sie lassen sich von Ihren Kunden treiben? Wunderbar, oder nur, auch o.k.? Wie oft treffen Sie sich denn persönlich mit Ihren Kunden und über was sprechen Sie mit ihnen? Über iPad oder über das Internet? Oder über ihre Informationsbedürfnisse oder darüber, wie das Internet ihre Geschäftsprozesse verändern wird? Und haben Sie und Ihre Kunden eigentlich das gleiche Bild vom Internet und dessen Potenzial für die Geschäftsprozesse von Morgen? Leider ist auch herkömmliche Marktforschung heute nicht mehr das, was es noch vor wenigen Jahren war.

Ich fürchte daher, es gibt keine einfachen Fragen und Antworten mehr für die künftigen Verlegerpioniere. Wenn Sie verlegerische Pionierarbeit auf den Weg bringen wollen, dann müssen Sie von der konkreten Produktebene abstrahieren und die prozessuale Funktionalität hinter den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und des Internets suchen und sehen. Drei Innovationszauberwörter, so meine Sicht, können Ihnen dabei behilflich sein: Verlinkung, Vernetzung, Skalierung. Sie könnten von mir aus auch sagen: Apple, Google, Facebook. Diese drei Zauberwörter haben diese Firmen und ehemaligen Nicht-Verlage groß gemacht.

Apple verlinkt uns mit den Songs und Google mit den Inhalten (über alle Verlagsgrenzen hinweg), die für uns persönlich relevant sind, Facebook vernetzt uns mit den Menschen, die (für) uns wichtig sind und alle zusammen, tun dies mit einer Produktionsplattform und einem User-Interface, die weltweit skaliert werden. Eine Plattform, ein Produktionsprozess für Zig-Millionen Kunden, das ist der Maßstab für die Wertschöpfungseffizienz in diesem Jahrhundert. Auch der VW-Konzern zum Beispiel hat dies nun erkannt, wie heute das Handelsblatt berichtet, und will ab 2011 mit einem modularen Querbaukasten (MQB) eine gemeinsame Trägerplattform für alle Kleinwagen-Marken des Konzerns schaffen, und mit rund 3,5 Millionen Einheiten pro Jahr der Konkurrenz das Fürchten lehren. Man stelle sich das mal vor, die Verlage würden für alle Ihre Zeitungen oder Zeitschriften oder Bücher eine einzige identische „Produktionsplattform“ einsetzen, anstatt für jedes einzelne Print-Produkt eine eigene digitale Kopie ins Internet stellen. Die Skaleneffekte wären gewaltig. Oder gar noch exotischer: Mehrere konkurrierende Verlage würden ihren Wettbewerb auf die Inhaltsebene beschränken und auf der technischen Plattform- und Produktionsebene gemeinsame Sache machen, anstatt für Auflagen weit unter der Millionengrenze für jedes Inhaltspaket, für jede Zeitung, ein eigenes User-Inferface mit millionenschweren Etats basteln. Unvorstellbar?

Sicherlich, wenn Sie sich Ihre Anregungen für die Verlagsprodukte von Morgen nur beim Wettbewerb abschauen. Doch Sie haben immer zwei Optionen: Nämlich schauen, was die Konkurrenz macht und möglichst schnell kopieren oder etwas neu erfinden. Beim neu erfinden ist der Blick über den eigenen Branchenzaun jedoch viel hilfreicher. Doch vergessen Sie ihre Kunden nicht. Warum schauen Sie nicht gemeinsam mit den Kunden über den Tellerrand? Denn gerade beim Verlinken und Vernetzen sind Sie auf die Hilfe der Kunden existenziell angewiesen.