Mittwoch, 24. März 2010

These 7: Skalieren heißt überleben

Jahrhunderte lang waren die Printmedien die einzige Massen-Kommunikationsplattform. Heute sind sie nur noch eine unter vielen. Die Verlegerverbände wenden an dieser Stelle sofort ein, „aber eben die Beste“. Geschenkt, klar sind sie das, aber nur (noch) für spezielle Marktsegmente. Noch reicht dieses Spektrum von den (herkömmlichen) Publikums-Zielgruppen bis hin zu den spitzen Fachzielgruppen. Noch wohlgemerkt, da auch die Kunden Zeit brauchen, die neuen Optionen des Internets für ihrer Geschäfts- und Freizeitprozesse zu erkennen. Doch diese Segmente werden jährlich kleiner und bezogen auf die Wirkungsleistung (Aufmerksamkeit) zunehmend anders. (Dazu und zur notwendigen Veränderung und Qualifizierung des Begriffes „Reichweite“  und "Aufmerksamkeit" in späteren Beiträgen mehr).

General Interest Portale, Transaktionsportale und Social Media (Portale) entwickelten sich im Internet in den letzten zehn Jahren in einer nicht gekannten Vielfalt und Reichweite und entzogen, bezogen auf ihre Leistung als Werbe-Kommunikationsplattform, den traditionellen Medien nachhaltig strukturelle Marktanteile (Aufmerksamkeit). Der „Reichweitenverlust“ beschränkt sich nicht auf die Papierplattform. Auch die großen Medien-Flaggschiffe im Internet besitzen im Vergleich zur Gesamt-Reichweite aller Internet-Angebote nur noch marginale Reichweiten. Und es ist davon auszugehen, dass dieser Prozess weiter voranschreitet. Ein neues Gleichgewicht ist derzeit nicht in Sicht.

Gleichzeitig schreiten die Individualisierung der Kundenansprüche und die Markt-Fragmentierung weiter voran. Der verlegerische Maßanzug, die individuell und kontextuell passgenaue Information, ist in einzelnen (Internet-) Marktsegmenten bereits heute und Morgen schlichtweg in allen Märkten Basiserwartung. Mit den Möglichkeiten der Printwelt, obwohl auch diese sich technologisch weiterentwickelt, ist dieser Maßanzug nicht darstellbar.

Die künftige Refinanzierung verlegerischer Leistung im Internet erfordert deshalb kein weiteres Re-engineering der herkömmlichen Wertschöpfungskette und auch kein neues Geschäftsmodell, sondern den Einstieg in eine vollständig neu definierte verlegerische Wertkette. Diese wird dramatisch „kürzer“ sein und sich fast ausschließlich auf die Inhaltsgenerierung und Markenbildung beschränken. Der (Mehr-)Wert der Inhalte wird künftig weit weniger vom normativen Duktus geprägt, sondern viel stärker von der individuellen Relevanz. Diese hängt von der Qualität der intellektuellen Verlinkung und der kundenabhängigen Vernetzung ab, wie in These 5 und 6 ausgeführt. Die Komplexität der hierfür erforderlichen Tools und Verfahren nimmt mit der technologischen Innovation permanent zu und ist nur durch konsequente Spezialisierung auf den Inhaltsprozess beherrschbar. Dies wird dazu führen, dass die Verlage zunächst ihre traditionelle Wertkette weiter durch Outsourcing aller „dienenden“ Prozesse (zum Begriff siehe These 6) auf die verlegerische Kernleistung Inhaltsgenerierung konzentrieren werden (müssen).

„Alles. Jederzeit. Überall.“ zitierte ich in These 4 den VDZ. Alles heißt aus Sicht des Kunden aber schlichtweg: Alle Inhalte aller Verlage. (Diese Forderung mag aus Sicht der Publikumsmarktes noch übertrieben erscheinen, sicherlich jedoch nicht bezogen auf „kritische“ Fachinformationen. Sie erwarten heute doch auch ganz selbstverständlich, dass ein Wissenschaftler, Ingenieur oder Arzt bei sicherheitskritischen Entscheidungen weltweiten Zugriff auf alle einschlägigen Fachinformationen hat, ganz egal wo diese „zufälligerweise“ verlegt worden sind.) Am weitesten hierbei ist, ich nehme an, Sie stimmen mir hier zu, Google vorangeschritten. Google dient als Beispiel für eine „offene“ Plattformstrategie. Das Beispiel für eine „geschlossene“ Plattformstrategie heißt heute Apple. Es liegt nun an den Verlagen, durch verlegerische Innovationen das Verlegen im Internet neu zu erfinden.

Alles, jederzeit, überall – der verlegerische Maßanzug erzwingt die Skalierung des Inhaltsangebotes über die eigenen Verlagsgrenzen hinaus und erfordert neue Denkweisen und Fähigkeiten, die sich nicht mit dem Printgeschäft decken. Die Verleger müssen sich entscheiden, diese "Skalierung" den Nicht-Verlagen zu überlassen und ihre Mediengattungs- und Verlagsportfolio-Zäune im Internet zu verteidigen oder diese selbst in Angriff zu nehmen. Meine Skalierungs-Erfahrungen aus der spitzen, durch paid content Mauern abgeschotteten Fachinformationswelt sagen mir: die Google’s heute beschäftigen sich derzeit „nur“ mit der „Erschließung“ der bislang digitalisierten (kopierten) Printprodukte. Dies möchte ich nicht abwerten, ganz im Gegenteil, dies ist, aus Sicht des Kunden, eine auch gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die den einzigen „Schönheitsfehler“ hat, dass sie dem traditionellen Geschäftsmodell der Verlage zu schnell zu viel Umsatz entzieht.

Der erste (Denk-)Hebel, den man auf diesem Weg zur „Skalierung der Inhalte“ umlegen muss, ist, sich vom bisherigen produktspezifischen Produktionsprozess zu lösen, und die maximale Skalierung aller dienenden Prozesse zu starten, mit dem Ziel, die daran hängenden Kosten Richtung Null zu führen. Die Benchmarks hierzu werden von den globalen Plattformen vorgegeben. Facebook, eine einzige Plattform für Inhalte und Kommunikation für 400 Millionen User. In der Printwelt sind es die Verlage gewohnt, in „Plattformen“ für wenige Tausend Leser zu denken. Die Folge: Tausende von Print-Produkten wurden aus guter alter „Gewohnheit“ als Inselprodukt ins Internet portiert. Die Print-Marke wird, „expand your brand“ sei dank, crossmedial ins Internet verlängert und erhält ihre eigene Internetplattform. Dieser Weg ist offensichtlich notwenig als Lernkurve und Zwischenschritt. Es ist jedoch noch nicht der Weg in die langfristige verlegerische Internetwelt (siehe hierzu auch den Blog-Beitrag „Apple verändert alle Medien“).
Eine weitere unverzichtbare Fähigkeit auf dem Weg zur Skalierung sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, nämlich die Fähigkeit strategische Kooperationen eingehen zu können. Hierauf werde ich in These 10 näher eingehen.

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